Agrarpolitik: Von Zeitenwende keine Rede

Der Raiffeisenverband ist mit der Arbeit der Ampel-Regierung und des grünen Landwirtschaftsministeriums im höchsten Maße unzufrieden

Dunkle Wolken ziehen über ein Feld. (Foto: Thomas Beckert / pixelio.de)
Dunkle Wolken ziehen über ein Feld. (Foto: Thomas Beckert / pixelio.de)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), spricht von einem „verlorenen Jahr“. Statt den von vielen Krisen gebeutelten und mitten im Transformationsprozess steckenden Agrarstandort Deutschland zu sichern und zu festigen, würden von der Bundesregierung wichtige Entscheidungen vertagt und Weichen falsch gestellt. „Es fehlt an realistischer Gestaltungskraft“, so Holzenkamp am Donnerstag in Berlin, wo er für die rund 1700 Mitgliedsunternehmen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch Bilanz zog.

 

Fatal und verheerend ist aus DRV-Sicht, dass die Ampelkoalition die existenzielle Frage der Versorgungssicherheit einer Lebensmittelerzeugung im eigenen Land ignoriert. Die Produktion wandere trotz der Krisenlage immer mehr ins Ausland ab. Holzenkamp hat inzwischen den Eindruck, dass man es im Landwirtschaftsministerium zum Beispiel bei der Schweinehaltung auf Betriebsaufgaben geradezu anlegt. „So wird Fleisch aus Deutschland zum hochpreisigen Nischenprodukt. Ausländische Märkte ohne die hier geforderten Produktionsstandards sind die Gewinner“, prophezeite Holzenkamp. Man erlebe statt des versprochenen Umbaus der Tierhaltung den Abbau.

 

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen den vom DRV beklagten Trend. Zwischen 2012 und Ende 2022 ging die Zahl der Höfe mit Schweinehaltung um dramatische 43,5 Prozent zurück. Die Bestände sanken im gleichen Zeitraum um 24,4 Prozent. Und die Kurven zeigen weiter nach unten. Ein Gegensteuern, das gerade mit Blick auf Kriege, Konflikte und Versorgungssicherheit wichtig wäre, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Die Ampel denkt über weitere Verbote nach und verstrickt sich im Klein-Klein.

 

Tierhaltungskennzeichnungsgesetz mit eklatanten Schwächen

 

Nicht mehr zu verstehen ist, warum das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Führung Cem Özdemirs den vor Jahren hergestellten Konsens aller Seiten beim Tierwohl nicht nutzt und kein auf den Empfehlungen der Borchert-Kommission basierendes Gesamtkonzept präsentiert. Stattdessen, so kritisierte auch Holzenkamp, hat das Ministerium ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz entworfen, das laut DRV „eklatante Schwächen“ aufweist. Eine Umsetzung käme der Zerschlagung der Tierhaltung gleich. Extensivierung der Flächen und Abbau der Tierbestände werden laut DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers Spuren hinterlassen. In der Folge wird die Schere zwischen dem urbanen und ländlichen Raum noch weiter auseinandergehen. Franz-Josef Holzenkamp: „Mir stellt sich eine Frage: Macht man das mit Absicht?“ 

 

Ganz ausgeschlossen scheint dies angesichts vieler mit ideologischen Scheuklappen erdachten Ideen aus Berlin nicht. Während die landwirtschaftlichen Betriebe mit Krisen und Transformation zwei große Herausforderungen parallel stemmen müssen (Holzenkamp verglich dies mit einer Besteigung von gleich zwei Achttausendern), lässt die Bundesregierung sie allein: „Ein Karte mit der Route zu den Gipfeln gibt es nicht“, so der DRV-Präsident.

 

Kritik an der Einführung einer Verbotskultur

 

Erschreckend ist aus Sicht des Raiffeisenverbandes, dass man statt der Entwicklung und Anwendung von Innovationen eine Verbotskultur einführe. Das diskutierte Werbeverbot für bestimmte Lebensmittel sei in einer multimedialen globalen Zeit weltfremd. Hier werde ein Scheingefecht geführt. Große Themen blieben unbearbeitet.

 

Trotz aller Krise – von Ukraine-Krieg bis Corona – haben sich die Genossenschaften und genossenschaftlich orientierten Betriebe im vergangenen Jahr laut DRV gut behauptet. Der Umsatzsprung auf 87,6 Mrd. Euro wurde aber in erster Linie vom rasanten Preisanstieg aufgrund der steigenden Energie-, Material- und Logistikkosten ausgelöst. Düngemittel waren zum Beispiel im Jahresdurchschnitt doppelt so teuer wie 2021, Energie kostete 50 Prozent mehr. 

 


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