Wie die Union in der Grünen-Falle sitzt

Boris Rhein könnte ein Bündnis mit der SPD eingehen. Denn die Union muss klarmachen, dass eine Stimme für sie nicht automatisch grüne Minister ins Amt bringt

Der hessische Landtag in Wiesbaden. (Foto: Dieter Schütz / pixelio.de)
Der hessische Landtag in Wiesbaden. (Foto: Dieter Schütz / pixelio.de)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Bei den Landtagswahlen am 8. Oktober haben die Wähler den in Berlin regierenden Ampel-Parteien ein denkbar schlechtes Zwischenzeugnis ausgestellt. In Hessen kamen SPD, Grüne und FDP zusammen gerade einmal auf knapp 34,9 Prozent, kaum mehr als der Wahlsieger CDU mit 34,7 Prozent. In Bayern wählte nur noch jeder Vierte eine der drei Ampel-Parteien. Deutlicher kann ein Misstrauensvotum nicht ausfallen. 

 

Die Hessen und Bayern ticken keineswegs anders als die Bürger in den anderen 14 Bundesländern. Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, würden nicht mehr als 34 bis 36 Prozent noch ihr Kreuz bei SPD, Grünen oder FDP machen. Von einer Mehrheit ist Rot-Grün-Gelb also weit entfernt, ebenso von ihren 52 Prozent bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren. Das ist an sich nichts Außergewöhnliches. In der Regel stehen Regierungen in der Mitte ihrer Amtszeit in Umfragen nicht gut da. Denn keine Koalition kann halten, was die sie tragenden Parteien vor der Wahl versprochen hatten.

 

Gefangene der Merkel-Ära

 

Außergewöhnlich ist etwas anderes: Vom schlechten Meinungsklima für die Ampel profitiert nicht in erster Linie die oppositionelle CDU/CSU. Die meisten enttäuschten Wähler wenden sich stattdessen der AfD zu, wohl wissend, dass mit dieser teils rechtsextremen, teils völkischen Partei niemand koalieren wird. Wer AfD wählt, muss davon ausgehen, dass Deutschland von dieser Partei in ihrem derzeitigen Zustand definitiv nicht regiert werden wird.

 

Angesichts der Sorge der Menschen um ihre wirtschaftliche Zukunft und der anschwellenden Kritik an der ungebremsten Zuwanderung müsste die Union deutlich besser dastehen. Doch ist sie gerade bei dem für die politische Stimmung so wichtigen Immigrationsthema Gefangene der Merkel-Ära. Die Bürger haben eben nicht vergessen, dass es eine CDU-Kanzlerin war, die unter dem Motto „Wir schaffen das“ das Tor weit aufgemacht hat. Und die Partei ist ihr ergeben auf diesem Kurs gefolgt. 

 

Die CDU hat noch ein anderes, gewichtiges Problem: Sie kann nicht davon profitieren, dass die Politik der Grünen jenseits ihrer Kernklientel auf Widerspruch stößt. Eine Mehrheit lehnt nämlich deren Belehrungs- und Verbotspolitik entschieden ab. Die Freigabe von Cannabis, die Möglichkeit zum jährlichen Wechsel des Geschlechts, ein Werbeverbot für Süßigkeiten oder eine feministische Außenpolitik mögen zwar die linksgrüne, großstätische Bourgeoisie erfreuen; die Mehrheit der Wähler lehnt dies alles strikt ab – vor allem in den ländlichen Regionen der Flächenländer.

 

Wer diese politischen Positionen ablehnt, findet nicht automatisch zur CDU. Denn die Wähler haben gelernt: Wer schwarz wählt, bekommt sehr häufig Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz. Ein unter dieser Perspektive abschreckendes Beispiel lieferte 2022 die schleswig-holsteinische CDU. Nach der Landtagswahl hatte Ministerpräsident Daniel Günther die Auswahl zwischen „klassisch“ und „fortschrittlich“, also zwischen einer CDU/FDP-Regierung und einer CDU/Grüne-Koalition. Der Wahlsieger Günther entschied sich als überzeugter Merkelianer und seinen Ruf als Modernisierer pflegender CDU-Politiker ohne zu zögern für die Grünen.

 

Die wahren Profiteure des AfD-Höhenflugs

 

Das Groteske an der Situation: Die Grünen sind nämlich die wahren die Profiteure der AfD. Weil mit der Rechtsaußenpartei niemand koalieren will, sind Mehrheitsbildungen ohne die Grünen kaum noch möglich. Die CDU sitzt folglich in der Grünen-Falle. Sie erklärt sie einerseits zum „Hauptgegner in der Bundesregierung“ (Friedrich Merz), zieht aber im Zweifelsfall eine Regierung unter grüner Beteiligung der Oppositionsrolle vor. So gesehen wählen Ampel-Gegner, wenn sie ihr Kreuz bei der CDU machen, indirekt die Grünen mit. Deshalb machen so viele ihr Kreuz lieber bei der AfD.

 

Man kann davon ausgehen, dass die CSU in Bayern ein noch weniger berauschendes Ergebnis erzielt hätte, wenn Markus Söder die Tür zu Schwarz-Grün nicht mit so lautem Knall zugeschlagen hätte. Die Aussicht auf Schwarz-Grün unter weiß-blauem Himmel hätte die Freien Wähler dort noch stärker gemacht. In Hessen siegte die CDU deutlich, weil sie vor einem Ampel-Gehampel à la Berlin warnte. Zudem hat Ministerpräsident Boris Rhein es bewusst offengelassen, ob er bei entsprechendem Wahlausgang Schwarz-Grün fortsetzt oder mit Schwarz-Rot ein neues landespolitisches Kapitel aufschlägt. Rechnerisch hätten CDU und SPD eine, wenn auch knappe Mehrheit im Landtag von einer Stimme. Mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit zu regieren, wäre in Wiesbaden freilich nichts Neues.

 

Schwarz-Rot in Hessen?

 

Rheins Andeutungen, er könne auch mit der SPD regieren, machte ihn und die CDU für Bürger wählbar, die nicht länger von der Ökopartei regiert werden wollen. Wenn der alte und neue Ministerpräsident glaubwürdig bleiben will, dann wird er mit den Sozialdemokraten ernsthaft verhandeln müssen. Bei den Themen Zuwanderung, Sicherheit oder dem Ausbau des Straßennetzes dürfte er mit ihnen schneller einig werden als mit dem bisherigen Partner.

 

Die hessische SPD wiederum dürfte nach 25 langen Jahren in der Opposition keinen allzu hohen Preis für zwei, drei Plätze am Kabinettstisch fordern. Fraglich ist allerdings, mit welcher personellen Aufstellung die SPD mitregieren würde. Ihre glücklose Spitzenkandidatin Nancy Faeser hat ausgeschlossen, als Oppositionsführerin nach Wiesbaden zurückzukehren. Die Position einer stellvertretenden Ministerpräsidentin wäre zweifellos attraktiver. Schließlich weiß Faeser nicht, wie lange Olaf Scholz ihr noch die Treue hält. Sollte sie ihr Amt als Bundesinnenministerin verlieren, stünde sie ohne Mandat da. Denn für den Bundestag hatte sie nicht kandidiert.

 

Schwarz-Rot in Hessen? Vieles spricht für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün. Eine Große Koalition, die nach der Zahl der Sitze freilich keine sehr große wäre, sollte man jedoch nicht ausschließen. Sie könnte sogar über Hessen hinaus Signalwirkung haben: Wer CDU wählt, bekommt nicht automatisch grüne Minister. 

 

Zudem hätte Schwarz-Rot einen spannenden Nebenaspekt: Die Grünen säßen dann zusammen mit der größeren AfD auf den Oppositionsbänken. Doch könnten sie nicht verhindern, dass die AfD bisweilen ihren Anträgen zustimmt. Zu beobachten, wie die Grünen dann krampfhaft versuchten, eine solche Bresche in der „Brandmauer“ zu erklären und zu rechtfertigen, dürfte einen hohen Unterhaltungswert haben. 

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebs. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft.

 

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