Hessen: Jetzt liegen wieder die Themen des Landes auf dem Tisch

So klar, wie es schien, wird es nicht unbedingt weitergehen. Boris Rhein sondiert neben der Verlängerung mit den Grünen auch ein mögliches Bündnis mit der SPD

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. (Foto: © Sinah Osner / Hessische Staatskanzlei)
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. (Foto: © Sinah Osner / Hessische Staatskanzlei)

 

Von Jost Springensguth

 

Der Euphorie des Wahltages folgt auch bei der CDU im Wiesbadener Landtag die Phase abgeklärter Blicke nach vorn. Boris Rhein ist der strahlende Wahlsieger. Die 34,6 Prozent für seine CDU setzt eine Marke, von der die Berliner Parteispitze derzeit nur träumen kann. Aber auch Rheins pragmatischer und unspektakulärer Stil, mit dem er Wahlkampf geführt hat, setzt ebenso eine Marke sowohl für Berlin als auch für die CSU mit Markus Söder. Er hat seinen Wahlkampf ganz anders geführt und im Gegensatz zur Union in Bayern auffällig glänzende Ergebnisse auf dem Lande eingefahren.

 

Die sachliche Auseinandersetzung um Positionen, überzeugende politische Bilanzen und der Verzicht auf persönliche Verletzungen ist doch das, was Wähler honorieren. Und mit Blick auf die Ampel in Berlin belegt das Wahlverhalten den Wunsch, Probleme zu lösen, statt sich in der Diskussionsebene festzufahren. Am weitesten davon entfernt hat sich vor den Kameras am Sonntag die SPD-Vorsitzende Saskia Esken mit untauglichen Erklärungsversuchen präsentiert. Sie beschwört nach ihren entsprechenden Auftritten am Wahlabend und anschließend zusammen mit ihrem Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil „den Kampf für eine starke Wirtschaft, für gute Arbeit und gute Löhne, bezahlbare Mieten, stabile Renten und kostenfreie Bildung“ und damit ein „Weiter-So“. So zitiert der „Vorwärts“ am Tag nach der Wahl aus einer E-Mail der Parteispitze an die Mitglieder. Es fehlt beispielsweise eine Erklärung, warum die einst uneinnehmbare Festung Nordhessen mit sicheren SPD-Wahlkreisen weggebrochen ist. 

 

Erst einmal mit allen außer der AfD sondieren

 

Bei den Wahlanalysen in Hessen, der Bewertung von Wählerströmen und der Sicht auf programmatische Schnittmengen ergeben sich Einflussfaktoren, wie es nun dort im Land politisch weitergeht. Dabei zählen für Rhein wohl auch Erfahrungen des persönlichen Umgangs untereinander im Alltag der Landtagsarbeit und im Wahlkampf. Entscheidend werden ab jetzt mit Blick auf die Regierungsbildung wieder Faktoren der Landespolitik sein – anders als die bundespolitischen Themen, die für viele Wähler bei der Stimmabgabe entscheidend waren.

Der große, in Stimmen und Analysen nachgewiesene Ampel-Frust wird nun in Berlin für weitere Debatten sorgen. Übrigens dann mit Nancy Faeser, die ihr am Wahltag erworbenes Landtagsmandat an der Spitze der SPD-Liste niederlegen wird. Erst einmal soll sie aber auch in Wiesbaden die Bühne für ihre Partei weiter mit bespielen und das Sondierungsgespräch mit der CDU anführen. Denn: Der Wahlsieger will mit Ausnahme der AfD alle Parteien im Landtag dazu kurzfristig einladen; auch die FDP, die nicht genug Zählbares auf die Waage bringt. Als erstes stehen die Grünen mit Tarek Al Wazir auf der Liste, die Rhein seit gestern zunächst abarbeitet. Nach dem Wahlabend war von den Grünen immer wieder zu hören, wie gut es seit zehn Jahren zwischen der Union und ihnen funktioniert hat. Auffällig!

 

Bei den Analysen der Wählerwanderung sticht ins Auge, dass die CDU den stärksten Zulauf von der SPD (76.000), den Grünen (57.000) und der FDP (50.000) hatte. Verloren hat sie an die AfD (17.000), die SPD (29.000), FDP (24.000) und selbst Grüne (9.000). Was der CDU für die Zukunft Hoffnung macht, ist der Zulauf von mehr als 100.000 Erstwählern. Das ist in dieser Gruppe ein Anteil von 22 Prozent; die AfD rangiert hier mit 15 Prozent dahinter, vor den Grünen mit 14 (infratest dimap). 

 

Beim Blick in die Wahlkreisergebnisse fällt auf, dass die einst in Hessen so starke SPD nicht einen Wahlkreis mehr gewonnen hat; drei großstädtische Bezirke gingen direkt an die Grünen (in Frankfurt, Darmstadt und Kassel). Alle anderen konnte die CDU für sich verbuchen, für die damit auch die Platzierungen auf der Landesliste praktisch bedeutungslos wurden. Boris Rhein, als Ministerpräsident auf Platz 1, gewann seinen Wahlkreis in Frankfurt mit 40,2 Prozent.

 

Welche programmatischen Positionen passen eher zusammen?

 

Das lässt Rückschlüsse auf die programmatische Ausrichtung zu. Unumstritten ist die Einschätzung, dass sich die CDU mit ihrem flächendeckenden Erfolg als Partei versteht, die sich am stärksten der Politik im ländlichen Raum zuwendet. Sie hat in ihrem Wahlprogramm betont, dass sie keine strukturellen Umbrüche in der Agrar- und Umweltpolitik anstrebt. „Nur durch das Engagement der Eigentümer und Flächennutzer, Jäger und Angler werden Artenschutz, Boden- und Wasser- sowie Klimaschutz gewährleistet. Freiwillige Maßnahmen und Vertragsnaturschutz haben deshalb Vorrang.“ So heißt es in der CDU-Programmatik. Weiter will die CDU-geführte Landesregierung den Wolf ins Jagdrecht nehmen und ideologiefrei mit diesem Thema umgehen. 

 

Zuständig für das alles soll ein eigenständiges Ministerium „Land- und Forstwirtschaft“ sein. Hier wird einer der Knackpunkte bei Sondierungs- und folgenden Koalitionsverhandlungen liegen. Auch in der Verkehrspolitik gibt es aus Sicht der CDU mehr Schnittmengen mit der SPD als mit den Grünen. Allein der Direktgewinn der drei großstädtischen Wahlkreise durch die Grünen lässt den Schluss zu, dass hier urbane Themensichten für die Landnutzung gelten werden. So ist nicht auszuschließen, dass die Zukunft von Landwirtschaft und Umwelt zu den heftigsten Knackpunkten der anstehenden Verhandlungen gehören werden. 

 


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