Die Bauern, ihr Umfeld und die Lebensmittel in der Preisspirale

Es geht aktuell nicht nur um Energiepreise, sondern auch um Dinge wie Düngemittel, die den Landwirten schwer zu schaffen machen

Weidende Kühe vor Windenergieanlagen (Symbolbild: Erich Westendarp)
Weidende Kühe vor Windenergieanlagen (Symbolbild: Erich Westendarp)

 

Von Jost Springensguth

 

Die schlechten Meldungen über die weitreichenden und damit auch weit verzweigten Folgen aus dem Ursachenbündel des russischen Angriffskrieges und das, was sich in Südostasien als Krisenursachen verorten lässt, kommen bei den Menschen zu Hause und ihren Arbeitsplätzen an. Die Prognosen der Ökonomen machen Angst. Das Handelsblatt (1.8.22) berichtet über zunehmende Verwerfungen durch den Ukraine-Krieg und den drohenden Lieferstopp für Erdgas und der Furcht vor Rezession in Deutschland. Das Blatt zitiert aus einem ihm vorliegenden Brief des Deutschen Industrie- und Handelskammertages: „Seit dem 24. Februar dieses Jahres fliegen uns geradezu die Fetzen um die Ohren." Die aktuelle Krise habe kein absehbares Ende, heißt es weiter: „Unser eigener Wohlstand und der unserer nachfolgenden Generationen steht auf dem Spiel.“

 

Für die Wirtschaftszeitung hält sich der Staat aus dieser Frage heraus. Die Folge ist dann wohl die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Für das Handelsblatt sieht das so aus: „Der Staat verteilt um. Er stützt mit Steuergeld vor allem die einkommensschwachen Haushalte und holt das Geld dafür bei den reicheren - mit höheren Steuern oder zumindest mit dem Verzicht auf jedwede Entlastung - wieder rein. Der Staat finanziert die Entlastungen mit Schulden.

 

Folgen im ländlichen Raum abseits der politischen Wahrnehmung

 

Daran anzuschließen ist die Frage, was trifft dabei die Menschen, die im ländlichen Raum leben und arbeiten. Das sind einmal zu einem großen Teil die Betriebe in der Landwirtschaft direkt, die Unternehmen, die die Produkte verarbeiten – entlang der gesamten Kette in der Lebensmittelwirtschaft. Politik und Publikumspresse haben die Landwirtschaft nur selten auf dem Schirm, wenn es um die Folgen der drohenden Gas-Knappheit geht. Ein wohl fataler Fehler, weil in Teilen der Totalausfall von Grundnahrungsmitteln droht. Zum Beispiel, weil den Molkereien das Gas ausgeht und die Bauern auf der Milch sitzenbleiben. Oder die energieintensiven Zuckerfabriken in der anstehenden Kampagne nicht das verarbeiten können, was an Rüben dorthin geliefert wird.

 

Wahr ist jedenfalls: Wie wichtig die Nahrungsmittelproduktion ist, müssen viele Menschen erst wieder begreifen lernen. Zumal, wenn Lieferketten rund um den Globus ausfallen. Nicht nur, weil die Transporte schlecht fürs Klima sind. Sondern weil explodierende Ölpreise Importe massiv verteuern. Zur Konkurrenzfähigkeit einer Volkswirtschaft gehört in Krisenzeiten auch die Fähigkeit, das Land aus eigener Kraft mit Lebensmitteln zu versorgen. 

 

Beißreflexe gegen die Agrarchemie sind kontraproduktiv

 

Dabei geht es aktuell nicht nur um Energiepreise, die auch den Bauern schwer zu schaffen machen. Sondern auch um Dinge wie die Düngemittel, die durch russische Kriegstreiberei extrem teuer geworden sind. Beißreflexe gegen die Agrarchemie helfen in solcher Situation nicht weiter: Neben der schlimmen Sommer-Dürre sorgt auch der Versorgungsengpass beim Kunstdünger dafür, dass große Getreidemengen allenfalls noch zum Viehfutter taugen.

 

Spannendes Beispiel für das Problembewusstsein in der Agrar-Branche: Während viele Industrie-Konzerne noch mit dem Schicksal hadern und um Staatshilfen pokern, hat die bayerische Kult-Molkerei „Berchtesgadener Land“ das Problem selber angepackt: Schon vor Monaten haben sie dort die Produktionsanlagen auf einen Notbetrieb mit Heizöl umgestellt. Vorratstanks wurden angeschafft und sogar die Fahrer der Milchautos für den Gefahrgut-Transport von Heizöl qualifiziert. Alles auf eigene Rechnung. Von den Behörden kam bisher nur ein Fragebogen zur Systemrelevanz des Lebensmittelbetriebs – aber keine Antwort, wie es um die Gasversorgung der Molkerei aussieht, wenn es im Winter zu Engpässen kommen sollte.

 

Was kommt vom Ladenpreis bei den Landwirten an?

 

Schon im Kampf um einigermaßen faire Erzeugerpreise für die Milchbauern hatten die Berchtesgadener bundesweit Zeichen gesetzt und die Einkaufspreise deutlich angehoben. Auch damit haben sie gepunktet bei Verbrauchern, die Lebensmittel nicht erst dann schätzen, wenn sie aus fernen Ländern kommen. „Faire Milch“ gibt’s mittlerweile auch beim Discounter. Aber wieviel vom deutlich angehobenen Ladenpreis bei den Landwirten ankommt, bleibt eine spannende Frage.

 

Ein weiteres Beispiel bietet die Zuckerproduktion. Wikipedia erklärt: Rübenzuckerfabriken nutzen in aller Regel die Kraft-Wärme-Kopplung mit fossilen Brennstoffen. Die Zuckerindustrie ist gerade dabei, die vorgesehenen CO2-Einsparziele zu erreichen. Dazu gehört das Ziel, Anlagen zur Nutzung eigener Abfallprodukte aufzubauen. Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker berichtet, auf dem Weg dorthin wurden viele Fabriken „vorausschauend mit hohen Investitionen von Kohle auf Gas umstellt“. Nun geht es darum, in der anlaufenden Zuckerkampagne zuverlässig Gas zu erhalten. Dabei lasse sich anders als das Endprodukt der Rohstoff Zuckerrübe nach der Ernte nur kurze Zeit lagern. Wenn der Gashahn abgedreht werden sollte, so sind sich Fachleute sicher, wird sich das in den Lebensmittelregalen mit ihren Preisschildern niederschlagen.

 

Geringer Anteil der Erzeugerpreise in der Gesamtkalkulation

 

Joachim Rukwied, Präsident im deutschen und im europäischen Bauernverband, legte neulich erst den Finger in die Wunde: „Der Anteil der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise am Verbraucherpreis beträgt im Durchschnitt aller Produkte lediglich ein Fünftel, bei Brot und Backwaren nur rund fünf Prozent.“ Wie an der Tankstelle ist die aktuelle Preisfindung für Agrarprodukte wohl weniger an den Kosten orientiert. Und eher daran, was der Markt hergibt. Und das gilt auch zum Schaden der Landwirte, vom teuren Öl und Gas bis zu den Düngemitteln.

 

Sicher ist: Bisher profitieren die Bauern, ihre Wirtschaftspartner als Lieferanten und Abnehmer nicht von der Krise, sondern gehören zu den Opfern einer Preisspirale, die mittlerweile sogar Unionspolitiker laut über eine Übergewinnsteuer nachdenken lässt. So wird die Krise auch zur Bewährungsprobe für die Marktwirtschaft, die gerade in Notzeiten auch soziale Verantwortung bedeutet. Und nicht die Hoffnung, dass der Staat den Verbrauchern mit Steuergeld helfen wird, Preisexplosionen zu verkraften.

 


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