Mit dem Rücken zur Wand

Die steigenden Preise setzen Bürger und Betriebe stark unter Druck. Der ländliche Raum ist besonders betroffen

Auch die Preise für Produkte des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise für Lebensmittel, steigen kontinuierlich. (Symbolbild: iStock/ Bet_Noire)
Auch die Preise für Produkte des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise für Lebensmittel, steigen kontinuierlich. (Symbolbild: iStock/ Bet_Noire)

 

Von Jürgen Wermser

 

Jeder Verbraucher, jeder Handwerker und jede Firmenleitung spürt es in diesen Tagen hautnah: Die Preise für Produkte und Dienstleistungen steigen massiv. Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Viele Experten und Notenbanker versprechen zwar ein baldiges Ende des teilweise dramatischen Anstiegs. Doch sie haben sich zu Beginn der aktuellen Preislawine schon einmal kräftig geirrt. Schon deshalb gibt es keine Garantie, dass sie dieses Mal Recht behalten - so wünschenswert das auch wäre.

 

Nicht zuletzt die Bewohner des ländlichen Raums stöhnen unter der zunehmenden Kostenbelastung. Zwar gibt es mittlerweile ein paar Entlastungen - Stichworte 9-Euro-Ticket im Nahverkehr und Tankrabatt bei Benzin und Diesel. Aber dies kann das Problem nicht lösen, allenfalls für einen Teil der Bevölkerung etwas abmildern. Dagegen droht sich die Situation für viele andere, nicht zuletzt Landwirte und den Agrarsektor, dramatisch zu verschärfen. So sind die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im April 2022 um 33,5 Prozent gegenüber dem April 2021 gestiegen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) jetzt mitgeteilt hat. Dies ist der höchste Anstieg gegenüber einem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949.

 

Kosten für Düngemittel verdoppelt

 

Besonders hoch waren die Preisanstiege gegenüber dem Vorjahr bei Düngemitteln und Stickstoffverbindungen, die sich mehr als verdoppelten (plus 111,7 Prozent). Allein gegenüber März 2022 stiegen diese Preise um 14,5 Prozent, so das Statistische Bundesamt. Die Kosten für elektrischen Strom lagen im April 2022 um 87,7 Prozent höher als im April 2021 und die für Mineralölerzeugnisse um 53,9 Prozent.

 

All dies bringt die Kalkulationen von Landwirten heftig durcheinander. Langfristige Planungen werden angesichts solch kurzfristiger Verwerfungen im Kostengefüge fast schon zum Glücksspiel. Denn die Kostensteigerungen auf Produzentenseite lassen sich nicht ohne weiteres an die Kunden geschweige denn den Handel weitergeben. Viele Landwirte stehen inzwischen mit dem Rücken zur Wand. Sie brauchen wieder verlässliche Perspektiven und ein Mindestmaß an Planungssicherheit - leicht gesagt, aber schwer erreichbar, solange Putins Krieg in der Ukraine andauert und wichtige Märkte deswegen aus den Fugen geraten.

 

Gleichwohl wird es höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung stärker um diese Probleme des ländlichen Raums kümmert. In der aktuellen Übergangsphase - der Kanzler nannte sie Zeitenwende - dürfen hier keine Strukturen und Existenzen zerstört werden, die gerade in dünner besiedelten Regionen zwingend notwendig sind. Doch was geschieht aktuell? Der Staat kassiert noch zusätzlich bei Landwirten und Verbrauchern ab, indem er von den höheren Mehrwertsteuereinnahmen auf die teurer gewordenen Produkte profitiert. Den Finanzminister mag dies heimlich freuen, während sich der mit dem ländlichen Raum befasste Landwirtschaftsminister mit Lösungen zurückhält - ein politisches Armutszeugnis.

 

Wachstumsprognose gesenkt

 

Wäre all dies nicht schon heikel genug: Auch die Zinsen für Investitionen beginnen zu steigen. Die Notenbanken wollen die Geldentwertung bremsen - eine Aufgabe, die sie viel zu lange vernachlässigt haben. Und jetzt drängt die Zeit und mit ihr die Härte der Instrumente, die für eine Eindämmung der Preisanstiege erforderlich sind. Doch je schneller und höher die Zinsen steigen, desto schwieriger wird es für Betriebe, kurzfristig eine finanzielle Durststrecke zu überbrücken. Hinzu kommt, dass die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognose für 2022 drastisch auf 2,7 Prozent gesenkt haben, nachdem sie im vorangegangenen Herbstgutachten noch von einem Plus von 4,8 Prozent ausgegangen waren.

 

Im Klartext: Es droht ein Wohlstandsverlust mit negativen Folgen vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten und für Regionen, die jetzt schon mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen haben - sprich den ländlichen Raum. Umso wichtiger, dass dessen Anliegen und Bedeutung für die Gesamtgesellschaft wieder stärker in den Fokus geraten. Unser Blog wird auch weiterhin seinen Beitrag dazu leisten.

 


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