Ein Comeback mit Fragezeichen

Gibt es die neue Lust aufs Land tatsächlich? Wissenschaftler haben Wanderungsdaten unter die Lupe genommen und kommen zu interessanten Ergebnissen

Foto: Petra Dirscherl / pixelio.de
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Von Wolfgang Kleideiter

 

Stadtflucht und Landlust – zwei Begriffe, die gerade in den Corona-Jahren 2020 und 2021 häufig in den Schlagzeilen auftauchten. Auch unser Blog hat eine zu beobachtende Renaissance der ländlichen Räume mehrfach beschrieben. Doch lässt sich der aktuelle Trend ohne weiteres in die Zukunft fortschreiben? Reichen Beobachtungen in manchen Regionen und Kreisen schon aus, um daraus eine langfristige Entwicklung zum Beispiel mit allen Folgen für Infrastrukturmaßnahmen abzuleiten? Gibt es wirklich eine fluchtartige Bewegung?

 

Die Gütersloher Bertelsmann Stiftung und das Dortmunder Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung haben ihre soeben veröffentlichte Studie zum Comeback ländlicher Räume aus gutem Grund schon im Titel mit einem Fragezeichen versehen. Zwar zeigt die umfangreiche Analyse der Wanderungsdaten im Bundesland NRW, dass aktuell viele sehr ländliche beziehungsweise eher ländliche Kreise deutliche Wanderungsgewinne aufweisen. Doch das Raus-aufs-Land, das einige schon propagiert hatten, hat oft unterschiedliche Gründe. In manchen Regionen gibt es einen Wanderungsüberschuss, der vor allem durch hohe Wohnkosten in benachbarten Metropolen ausgelöst wird. Andere Gebiete profitieren von einer Rückwanderung, weil die Menschen ihre alte Heimat als familiärer und nicht so anonym empfinden wie die Stadt.

 

Zweifellos hat die Corona-Pandemie mit den teils erzwungenen Homeoffice-Modellen für viele ländliche Räume wie ein Booster gewirkt, sagen auch die Verfasser der Studie. Ortsungebundenes Arbeiten und die Digitalisierung der Arbeitswelt bescheren der Entwicklung der ländlichen Räume deshalb insgesamt ein großes Potenzial. Ein Effekt: Die lange vorherrschende Angst, von den negativen Folgen des demografischen Wandels hart getroffen zu werden, lässt auf dem Land etwas nach. Planungen, die mit einem Rückgang der Bevölkerung, mit Abwanderung und Unterauslastung von Infrastrukturen kalkulierten, sind in Teilen überholt. Stellenweise gibt es laut Studie sogar schon wieder so etwas wie eine Wachstumsmüdigkeit.

 

Es kommen vor allem Familien

 

Im Kreis Euskirchen ist dies zum Beispiel der Fall. Der Kreis im Dreieck von Köln, Aachen und Bonn erlebt einen noch nie bekannten Familienzuwachs. Bei der Analyse der Daten wurde festgestellt, dass der ländlich geprägte Kreis in den Jahren 2009 bis 2011 unterm Strich jeweils noch 100 Menschen an die Stadt Köln verloren hat. In den Jahren 2020 und 2021 erzielte der Kreis Euskirchen gegenüber der Domstadt einen Wanderungsüberschuss von jährlich plus 670 Menschen. Den Zuwachs gab es in erster Linie bei den 30- bis 50-Jährigen sowie bei den unter 18-Jährigen. Im Kern sind dies Familien, die – so ergaben Auswertungen und Befragungen – wegen der hohen Wohnkosten Köln den Rücken zugekehrt haben.

 

Etwas anders sieht es im ländlichen Hochsauerlandkreis aus, wo die jüngsten Daten ebenso einen günstigeren Wanderungssaldo als noch vor Jahren aufweisen. Der von der Fläche her größte Kreis in Nordrhein-Westfalen – zweimal so groß wie das Land Berlin – zieht vor allem Menschen an, die dort früher aufgewachsen und heute von den guten Wohn- und Arbeitsbedingungen überzeugt sind. Rückwanderung ist hier der größte Treiber. 

 

Die beiden Kreise sind in der Analyse als Fallstudien detailliert betrachtet worden. Wer Wanderungsmuster und die verschiedenen Auslöser verstehen will, findet hier eine Vielzahl von Fakten und Motiven. 

 

Vielschichtige Auslöser von Wanderungsbewegungen

 

Auch wenn die Studie sich ausschließlich auf die Wanderungsdaten in NRW stützt, so zeigt sie doch, wie heterogen und vielschichtig die Auslöser von Wanderungsbewegungen innerhalb eines Bundeslandes und auch in Deutschland sind. Die Studienmacher sprechen von Wanderungsmustern, die man verstehen muss, um zum Beispiel Infrastruktur realistisch planen zu können.

 

Wer zum Beispiel auf Zuwanderung auf Grundlage neuer digitaler Arbeitsmodelle setzt, braucht neben dem verfügbaren und stabilen Datennetz auch Wohnungen, die genug Platz für das Wohnen und Arbeiten bieten. Gewünscht werden zudem Grün- und Freilandflächen im Umland, Balkon oder Garten.

 

Die Studie „Comeback ländlicher Räume?“ ist gedruckt oder als E-Book erhältlich. Näheres unter www.bertelsmann-stiftung.de/verlag


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