Sehenden Auges ins Parteien-Chaos

Großstadt-Ideologen zerfleddern die politische Landschaft, obwohl Krisenzeiten Stabilität bräuchten

Foto: moinzon
Foto: moinzon

 

Beitrag anhören (MP3-Audio)

 

Von Michael Lehner

 

Der traurige Rest der Linkspartei will sich noch mehr um die Minderheiten-Sorgen jener urbanen Wählerschichten kümmern, die in einer bröckelnden Komfort-Zone von einer postmodernen Welt träumen. Befreit von den Umweltgiften, die Automobile und Rinder verursachen. Entschleunigt auch durch eine Arbeitswelt, die immer mehr Freiheit lässt. Und damit auch mehr Freizeit, deren Gestaltung zugleich immer mehr Geld kostet.

 

Dass der Tanz um dieses Goldene Kalb gleichzeitig die Grünen auf ihrem lange Zeit erfolgreichen Weg zur Volkspartei zurückwirft, wollen die Erben der DDR-Einheitspartei nicht wahrhaben. Sie sind mittlerweile von einer Arbeiter- und Bauernpartei so weit entfernt, wie es die Pseudo-Sozialisten um Ulbricht und Honecker immer waren. Obendrein konkurriert die Linkspartei auch noch mit dem vermeintlich progressiven Flügel der SPD, der zunehmend mit der Politik des Bundeskanzlers hadert, seit dieser Sensibilität für die wahren Sorgen der Wählerschaft erkennen lässt.

 

Das Ergebnis ist eine Zerstrittenheit des linken Spektrums, die sich durchaus mit der Selbstzerfleischung der Sozialdemokraten vergleichen lässt, die wesentlich zum Scheitern der Weimarer Demokratie beigetragen hat. Die in Gründung befindliche Wagenknecht-Partei mitgezählt, konkurrieren vier in ihrem Selbstverständnis linke Gruppierungen um Wählerschichten, in denen sich die gern beschworenen „kleinen Leute“ kaum noch wiederfinden. Die Berufspendler nicht, die sich kein Elektroauto leisten können. Und nicht die Landwirte, denen die Millionen zum Bau von Tierwohl-Stallungen fehlen.

 

Allmählich kommt sogar in der urbanen Wohlfühl-Blase die Ahnung auf, dass es auf längere Sicht nicht gelingen kann, die liebgewonnene Infrastruktur zu erhalten, wenn Kleinverdiener einen Zweit-Job brauchen, um ihre Miete und das Essen vom Discounter zu bezahlen. In absehbarer Zeit wird so auch das Wohngeld nicht mehr finanzierbar sein. Und die wirklichkeitsferne Mittelschicht wird erkennen müssen, dass es die Ursachen der Misere nicht behebt, wenn auch im braven Bürgertum vermehrt darüber gelästert wird, dass es Bürgergeld-Beziehern kaum schlechter geht als Niedriglohn-Beziehern.

 

Geld kann nicht alle Probleme lösen

 

Dass die Rechten von der AfD aus jeglicher Unzufriedenheit Honig saugen, sollte in solcher Situation nicht als Ausrede dafür missbraucht werden, die Ursachen der Unzufriedenheit zu ignorieren. Zu lange haben sich beide (!) Unionsparteien bevorzugt um ein Publikum bemüht, dem die Alltagssorgen der Mehrheit weitgehend fremd sind. Im Irrglauben, dass sich die allermeisten Probleme mit (Steuer-)Geld beheben lassen, blieben die Ursachen der konservativen Identitätskrise lange verborgen. Von den „blühenden Landschaften“ über den überstürzten Kernkraft-Verzicht bis zu „Wir schaffen das“.

 

So entstand bei den Menschen in der ehemaligen DDR das falsche Bild, dass ihre Mitbürger in der alten Bundesrepublik allesamt sorgenfrei im Luxus leben. Was die anhaltende Unzufriedenheit trotz massiver Verbesserung der Lebensumstände ein Stück weit erklären dürfte. Die von Konservativen beschleunigte Energiewende erzeugte dann Abhängigkeiten, deren Korrektur nun nicht nur enorm viel Geld kostet, sondern auch die Mammutaufgabe stellt, eine im Kern pazifistische Gesellschaft an die Realität globaler, kriegerischer Machtkämpfe zu gewöhnen. Die infame Russland-Werbung der AfD nützt auch solch realitätsferne Friedenssehnsucht schamlos aus – und setzt dabei auch auf Zuspruch aus der heimatlos gewordenen Linksbürger-Szene.

 

Dass die neue Rechte zugleich ihre Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik weiter pflegt, belegt den Verfall gewohnter Lager-(Feind)bilder. Wenn die Alt-Linke Alice Schwarzer und die Neu-Rechte Sahra Wagenknecht gemeinsam dafür protestieren, dem Diktator Putin die Ukraine kampflos zu überlassen, wird klar, wie groß das Potenzial geworden ist, von dem sich auch rechtsextreme Demokratie-Feinde Gewinn versprechen. Aus dem fruchtbaren parlamentarischen Disput der Nachkriegs-Jahrzehnte ist der Nährboden für neue Straßenschlachten entstanden – nicht erst seit den Pro-Hamas-Aufläufen in deutschen Städten.

 

Eine zunehmend ihrer hergebrachten Stammwählerschaft entfremdete Sozialdemokratie wird ebenso Besinnung auf den Markenkern brauchen wie die Union, die in Bündnissen mit dem bürgerlichen Teil der Grünen bisher ihre letzte echte Machtoption erkannte. Die Regierungsbildung in Hessen zeigt jedoch, dass auch diese Option brüchig geworden ist. Der erstaunlich erfolgreiche CDU-Ministerpräsident will sich nicht auf ein Bündnis mit jenen Grünen einlassen, die in der Bundesregierung den Rechtsaußen-Gruppen eine Steilvorlage nach der anderen liefern. Und zugleich die Ideologen im eigenen Lager vor den Kopf stoßen – von der Flüchtlingspolitik bis zu den Subventionen für Energie-Großverbraucher.

 

Wahrnehmung von Alltagssorgen 

 

Aus anderen Bundesländern gern belächelt hat Bayerns Ministerpräsident das Glück, dass seine CSU im Freistaat mit den Freien Wählern einen Regierungspartner hat, der die Konservativen – und zumal das Landvolk – im bürgerlichen Lager hält. Die Versuche, die Aiwanger-Partei ins rechtsradikale Lager zu verorten, sind zum Glück der CSU ebenso gescheitert wie so manche Träume von einer rot-rot-grünen Regierungsmehrheit im Bund. Sogar in Berlin macht sich eine Stimmung bemerkbar, die Alltagssorgen wieder wahrnimmt – und nicht nur Befindlichkeiten.

 

Am Rande: Die Höcke-AfD bleibt trotz allgemeiner Ernüchterung in dankenswerter Weise auf einem Kurs, der von Problemen profitieren will, ohne diese zu lösen. Solange es bei den Ergebenheitsadressen an Putin und andere Führer bleibt, wird sich der Machtgewinn der Geschichtslosen in den Grenzen halten, die Regierungsbündnisse mit diesen Rechten zur entscheidenden Anstands- und Gewissensfrage machen.

 


Lesen Sie auch:

Ziele verfehlt und Vertrauen verspielt: Wie Grüne die deutsche Regelungswut auf die Spitze treiben und damit die Ampel-Koalition ruinieren

Die Union ist zu brav, um die AfD zu bremsen: CDU und CSU fehlt ein Konzept gegen den erstarkenden Rechtspopulismus

 

Folgen Sie uns bei LinkedIn! 

 

Hier können Sie sich für unseren wöchentlich erscheinenden Newsletter anmelden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.