Rote Götterdämmerung im schwarzen Bayern

(Fast) Alle reden über die Schwäche der CSU. Weit dramatischer ist der Absturz der Bayern-SPD, auch fürs demokratische Gemeinwesen

Foto: fietzfotos
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Von Michael Lehner 

 

Logisch, seit 50 Jahren glaubt in Bayern niemand richtig ernsthaft, dass die SPD mal die Regierung übernehmen könnte. Aber zumindest bis zur Jahrtausendwende waren die Genossen ein ernst zu nehmender Gegenpart zur scheinbar unschlagbaren CSU. Beides ist spätestens seit dieser Wahlnacht Geschichte, auch was die Übermacht der CSU angeht.

 

So gesehen hat der angeschlagene Wahlsieger Markus Söder recht: Die politische Landschaft hat sich dramatisch verändert für die großen Volksparteien, sogar in Bayern. Die geschwächten Politik-Platzhirsche zahlen so den Preis dafür, dass die einst großen Volksparteien seit vielen Jahren dem Irrtum verfallen sind, dass es zum Wahlerfolg genüge, einem liberal-intellektuellen Großstadt-Publikum nach dem Mund zu reden.

 

So haben sich die im Freistaat bei acht Prozent gestrandeten Roten mehr um die Not der Sozialleistungsempfänger gesorgt als um die Probleme der arbeitenden Arbeiterschaft. Und selbst die Schwarzen haben die Gunst der Soziologie-Professoren wichtiger genommen als die Existenzangst in den ländlich-bäuerlich geprägten Regionen. Spannend, aber viel zu spät, dass nicht wenige dieser Professoren mittlerweile diese wachsende Entfremdung zwischen Metropolen und Provinz als wesentliche Ursache für die Rechtfertigungsnöte der Altparteien entdecken.

 

Wahr ist zudem, dass der Abwärtstrend nicht nur in Bayern längst auch die Grünen bedroht, die im Rausch urbaner Höhenflüge zunehmend übersehen, dass es für Volksparteien nicht genügt, vermeintliche Eliten zu bedienen. Zumal ein gut situiertes Großstadt-Publikum, das den Anspruch moralischer Überlegenheit aus dem Umstand herleitet, unbehelligt von Alltagssorgen nach der reinen Lehre ökologischer Vernunft und den Globus umspannender Solidarität zu leben.

 

Nicht mit der AfD in einen Topf zu werfen

 

Glück für die CSU und Bayern, dass der in besseren Kreisen als ungehobelt belächelte Hubert Aiwanger zumindest einen beträchtlichen Teil der lange übergangenen Wählerschaft im demokratischen Spektrum gehalten hat. Seine Freien Wähler nun mit der AfD in einen Topf zu werfen, ist nur ein weiterer Beleg für elitäre Instinktlosigkeit. Ohne Bayerns neue Bauern- und Arbeiterpartei müssten die TV-Politologen nun wohl auch in München rätseln, warum die AfD, übrigens die Partei der Putin-Freunde, kaum aufzuhalten scheint. So bleibt Markus Söder zumindest die Perspektive, weiter mit einem Koalitionspartner zu regieren, der die Kirchen im Dorf lässt und das Publikum jenseits großstädtischer Wohlfühl-Blasen einigermaßen bei Laune hält.

 

Von Bedeutung ist an diesem weißblauen Kulturkampf nicht so sehr die Aufregung um Aiwangers Flugblatt-Affäre. Weit interessanter ist die Kritik am Schlachtruf, dass sich das Volk die Demokratie zurückholen müsse. Der Chef der Freien Wähler sagte das in einer Situation, in der die Verfassungsrichter die Ampel-Regierung an die Einhaltung parlamentarischer Grundregeln erinnern mussten. Nicht nur in Bezug auf das weltfremde Heizungsgesetz des unseligen Staatssekretärs Patrick Graichen, der seinen Freund Robert Habeck und die Grünen entzaubert und der AfD enorme Wahlkampfhilfe geleistet hat.

 

Solchen Stücken aus dem Tollhaus verdanken auch Bayerns Grüne weitere Jahre ohne Macht-Perspektive: Söder war schier gezwungen, Bündnisse mit der Öko-Partei auszuschließen, nachdem diese sich zur Zielscheibe des Volkszorns machte. Obwohl auch der CSU-Chef sehr genau weiß, dass Machtwechsel zur Union ohne schwarzgrüne Koalitionen auf absehbare Zeit kaum denkbar sind. Die Zugewinne der CDU in Hessen sind ein weiterer Beleg dafür – und Blaupause für die Zeit nach der Kanzlerschaft eines Sozialdemokraten, der den Weg in die Machtlosigkeit vor allem der Realitätsverweigerung in den Partei-Kadern von SPD und Grünen verdankt.

 

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