Regionalentwicklung vor allem über den Staat?

In fünf Regionen teilt die Studie „Ungleiches Deutschland“ die Bundesrepublik ein. Die Untersuchung wirft Fragen auf und hat eine sozialdemokratische Handschrift

Eine Deutschlandflagge. (Foto: analogicus)
Eine Deutschlandflagge. (Foto: analogicus)

 

Von Christian Urlage

 

„Städte sind nicht grundsätzlich gut und ländliche Regionen nicht grundsätzlich schlecht aufgestellt.“ So lautet ein Ergebnis der Studie „Ungleiches Deutschland“, erstellt vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die damit einem einfachen Stadt-Land-Gegensatz widerspricht. Eine weitere Erkenntnis: „Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt derzeit in Regionen mit hohem Zukunftspotenzial und großer Krisensicherheit.“ Neben diesen erfreulich positiven Feststellungen wirft die Studie aber auch Fragen auf.

 

Wert legen die Wissenschaftler auf Differenzierung: Deutschland teilen sie ein in fünf Raumtypen und rechnen zu „Deutschlands solider Mitte“ 223 Landkreise, die 39,6 Millionen Einwohner ausmachen und damit 47,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Weite Teile des ländlichen Westdeutschlands und einige ostdeutsche Großstädte wie Leipzig, Weimar, Erfurt und Chemnitz zählen sie dazu, und das Berliner Umland, „das in jüngerer Vergangenheit stark von den Ausstrahlungseffekten der Hauptstadt profitieren konnte“. 

 

Ein weiterer Raumtyp sind „dynamische Städte mit erhöhter Exklusionsgefahr“ (17,6 Millionen Einwohner), mit zukunftsfähigen Arbeitsmärkten, guter Infrastruktur, aber auch wachsender Wohnungsnot – zum Beispiel München, Stuttgart, Frankfurt (Main), Köln, Hannover, Hamburg, Berlin und kleinere Groß- und Mittelstädte. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich viele Menschen das Leben in diesen Städten nicht mehr leisten können.

 

Höhere Lebenserwartung und Wahlbeteiligung im Umland von Städten

 

Zum dritten Raumtyp, dem „wohlhabenden Umland“ mit 11 Millionen Einwohnern, zählen die Verfasser der Studie 49 Kreise, von denen die meisten in Bayern und Baden-Württemberg liegen. Die Armutsbelastung und die kommunalen Schulden seien vergleichsweise gering, die Ärztedichte hoch, Lebenserwartung und Wahlbeteiligung deutschlandweit am höchsten.

 

Zu den „strukturschwachen Räumen mit Aufholerfolgen“ (8,2 Millionen Einwohner) rechnet die Studie die meisten Kreise in den ostdeutschen Ländern, mit Ausnahme weiter Teile Brandenburgs rund um Berlin. Diese Regionen erreichten demnach insbesondere beim Breitbandausbau und der Entwicklung der Gehälter große Fortschritte, und die Binnenwanderung lässt nach. „Von einem insgesamt strukturschwachen Osten kann man derzeit nicht mehr sprechen“, heißt es in der Studie.

 

Als fünften Raumtyp sehen die Autoren „altindustriell geprägten Städte mit strukturellen Herausforderungen“ (6,9 Millionen Einwohner), vor allem im Ruhrgebiet. Hoch verschuldete kommunale Haushalte schränken den Handlungsspielraum ein.

 

Empfehlungen mit klarer sozialdemokratischer Handschrift

 

So informativ diese und weitere Analysen auch sind: Die zehn Handlungsempfehlungen am Ende zeigen eine klare sozialdemokratische Handschrift, wenn etwa angeregt wird, den Koalitionsvertrag konsequent umzusetzen. Die Kindergrundsicherung ist für die Wissenschaftler ebenso wichtig wie die eine Anhebung des Mindestlohns sowie die Klima- und Energiewende. Und der Staat soll fast alles regeln.

 

Fraglich ist, warum die Studie der Infrastruktur kaum einen Wert beimisst. So enthält sie zwar einen Schienenerreichbarkeitsindex, aber der Bau von Autobahnen spielt keine Rolle, obwohl er in etlichen ländlichen Regionen erkennbar zur Ansiedlung mittelständischer Betriebe beigetragen hat.

 

Denkbar wäre es ja auch, zu untersuchen, warum ausgerechnet weite Teile Baden-Württembergs und Bayerns heute zu den wohlhabendsten Regionen Deutschlands zählen und welche Parteien dort lange im Land und in den Kommunen regiert haben. Denn der Wohlstand im einstigen Agrarland Bayern hat sich keineswegs von selbst entwickelt.

 

Der Erfolg des freiwilligen Engagements

 

Was eine Mentalität des Anpackens und zivilgesellschaftliche Strukturen für den Erfolg einer ländlichen Region ausmachen, hat 2017 das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung anschaulich am Beispiel Emsland herausgestellt – einer Region, die noch in den 1950er Jahren zu den ärmsten der Bundesrepublik zählte. Die lesenswerte Untersuchung „Von Kirchtürmen und Netzwerken“ belegt, was sich mit bewusst gefördertem freiwilligem Engagement alles erreichen lässt, wenn das Miteinander von Politik, Wirtschaft, Kirche und Vereinen gelingt. Da hat zwar auch die Kreisverwaltung ihren Anteil, aber der Erfolg wäre nicht eingetreten, wenn sämtliche Beteiligten ausschließlich vom Staat Lösungen für ihre Probleme erwartet hätten.

 


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