Die neue weißblaue Farbenlehre

Im Herbst wird in der Herzkammer der Konservativen gewählt: Bayerns neuer Blick zum rechten Rand

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Foto: Bayerische Staatskanzlei | © CSU-Fraktion)
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Foto: Bayerische Staatskanzlei | © CSU-Fraktion)

 

Von Michael Lehner

 

CSU-Chef Markus Söder und seine Partei pflegen im Wahlkampf-Endspurt den gemäßigten Umgang mit den Freien Wählern. Sie brauchen die Aiwanger-Truppe nicht nur als Juniorpartner zum Regieren. Sondern zudem zur Abwehr der AfD, die auch im Freistaat eine wachsende Schar von unzufriedenen Wählern umwirbt. Das erspart der CSU den Eiertanz, mit der CDU-Strategen versuchen, am rechten Rand zu fischen, ohne dabei in den Verdacht der klammheimlichen Kumpanei zu geraten.

 

Kein Zufall, dass Markus Söder lauter als andere Unionsgrößen protestierte, weil CDU-Chef Friedrich Merz die Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht grundsätzlich ächten wollte. Söder will selbst kleinste Spuren des Verdachts tilgen, dass die CSU am Ende doch irgendwie mit der Rechtsaußen-Konkurrenz anbandeln könnte, wenn das Wahlergebnis keine andere Option zuließe. Und er weiß, dass es auch in der CSU diskrete Zirkel gibt, die in einem solchen Bündnis eine Chance sehen, die CSU weiter nach rechts zu rücken.

 

Deshalb Aiwanger, deshalb die Freien Wähler, die zwei Monate vor der Landtagswahl in Meinungsumfragen satte 14 Prozent erreichen. Als bürgerliche Alternative für Konservative, die mit der CSU fremdeln, aber deshalb nicht gleich eine Partei wählen wollen, die dem guten Bürgertum zu wenig Distanz zum Pöbel und zu Putin wahrt. So muss Söder den aktuellen Zahlen zufolge nicht fürchten, was der CDU zumindest in Thüringen droht: Machtverlust oder ein abenteuerliches Allparteienbündnis gegen die AfD. 

 

Spannend über die Herbst-Wahltage und die weißblauen Grenzpfähle hinaus ist ein anderes Gedankenspiel. In Hintergrundgesprächen – nicht nur mit Journalisten – fragen CSU-Denker nach einer durchaus aparten These: Dass womöglich besonders die Grünen profitieren, wenn enttäuschte Konservative die AfD wählen. Weil so ohne die Grünen Regierungsbildungen in den Ländern und im Bund unmöglich werden, zumindest so lange die „Brandmauer“ gegen Rechtsaußen halten soll.

 

Aiwanger hält enttäuschte Wähler bei Laune 

 

Aus solcher Sicht spielt in Strategie-Gesprächsrunden auch eine neue Größe eine Rolle: Ist die Links-Ikone Sahra Wagenknecht womöglich im Osten die Schlüsselfigur, um die AfD zu bremsen? So wie das in Bayern mit den Freien Wählern gelingen dürfte? Umfragen trauen einer Wagenknecht-Partei zu, dass sie in Ostdeutschland aus dem Stand auf Augenhöhe mit der AfD kommen könnte. Was erklären dürfte, dass Thüringens AfD-Flügelmann der Linken Frontfrau schon (Aufnahme-)Anträge unterbreitet.

 

Derweil streiten sie in der CDU, ob die Abwehr der AfD-Gefahr nicht auch Neuorientierung zu einem Tabu-Thema erfordert: Rechtfertigt die Abwehr der Ultrarechten in der Not auch Zweckbündnisse mit der Linkspartei? Wo doch bisher der Konsens herrschte, dass zur Ächtung der AfD zwangsläufig ebenso klare Distanz zur Linken gehöre. Schon solche Fragestellung zeigt, dass die Parteienlandschaft einem Wandel ausgeliefert ist, der ein Menschenleben lang unvorstellbar schien.

 

Bayerische SPD wirkt wie ein Zaungast

 

Wie ein Zaungast wirkt daneben die altehrwürdige Volkspartei SPD. In Bayern ist sie aktuell unter die zehn Prozent gerutscht. Zerrieben zwischen einer CSU, die sich als moderne Großstadt-Partei andient und dabei weiß, dass ihr die Freien Wähler das enttäuschte Landvolk bei Laune halten. Und zwischen den Grünen, die in Bayern den Kampf ums ländliche Wahlvolk längst aufgegeben haben. Gerade sie machen den Sozialdemokraten das Leben schwer, weil das SPD-Stammpublikum den Verdacht hat, die einstige Arbeiterpartei wehre sich nicht genug gegen Versuche, die Welt und das Klima hauptsächlich auf Kosten der kleinen Leute zu retten. 

 

Es ist also durchaus eine neue politische Farbenlehre, die da im bayerischen Wahlkampf aufscheint. Allein die CSU kann sich in ihrer traditionellen Sonderrolle noch einigermaßen sicher fühlen. Aber nur, weil sie mit Aiwanger einen Partner hat, der heikle Themen auch dann anspricht, wenn die übrige bürgerliche Konkurrenz das Schweigen vorzieht. Meist mit dem Ziel, so der wütenden Kritik einer lauten Internet-Minderheit zu entgehen. Obwohl Umfragen und Wahlergebnisse eine ganz andere Wirklichkeit vermuten lassen.

 


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