Die Brüsseler Pestizid-Pläne und die Folgen für Europas Bauern

Bis 2030 soll der Einsatz von Pestiziden halbiert werden: Auch im zweiten Anlauf ist die Kommission aber nicht dazu in der Lage, die Folgen zu skizzieren

Schädlingsbekämpfung auf dem Feld. (Foto: Erich Westendarp / pixelio.de)
Schädlingsbekämpfung auf dem Feld. (Foto: Erich Westendarp / pixelio.de)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Bei jedem Vorschlag für ein EU-Gesetz muss die Kommission einen Bericht zu den zu erwartenden Gesetzesfolgen mitliefern. Als Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides im Juni vor einem Jahr den Vorschlag für eine neue Pflanzenschutzverordnung vorstellte, war zwar auch eine Folgenabschätzung dabei. Doch sie war den beiden Co-Gesetzgebern, also den 27 Agrarministern der Mitgliedsstaaten sowie dem Agrarausschuss im Europaparlament, zu wenig aussagekräftig. 

 

Der Vorschlag der Kommission ist sehr weitgehend: Bis 2030 soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln EU-weit halbiert werden, die gefährlichsten Pestizide sollen zudem verboten werden. Und: In nicht näher definierten Schutzgebieten soll gar kein Pflanzenschutz mehr stattfinden. Später machte die Kommission deutlich, dass nicht nur Parks und Spielplätze zu den Schutzgebieten zählen, in denen der Einsatz von Pestiziden verboten sein soll. Es gehören auch landwirtschaftlich genutzte Flächen, etwa in Landschaftsschutzgebieten, dazu. Laut Zahlen des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung liegt ein Fünftel der deutschen Ackerflächen und ein Viertel der Wein- und Obstanbaugebiete in Landschaftsschutzgebieten. 

 

Kommission blieb in der Folgenabschätzung nur vage

 

Dass die Kommission darüber nicht informierte, ist dreist. In ihrer Folgenabschätzung blieb sie nur sehr vage. Sowohl das Parlament als auch der Rat forderten daher zu Recht eine erweiterte Folgenabschätzung. Dieser Tage tauchte in Brüssel ein erster Entwurf auf. Vermutlich hat die Kommission das 220-Seiten umfassende Papier bewusst lanciert, um die Reaktion der Öffentlichkeit zu testen. Offiziell soll der Text erst Anfang Juli veröffentlicht werden. 

 

Fest steht jedoch schon jetzt: In dieser Form ist die Folgenabschätzung nicht dazu geeignet, die Bedenken bei den Gesetzgebern auszuräumen. Jedes EU-Land hat Anspruch zu wissen, wie groß die Flächen sind, auf denen ab 2030 kein Pflanzenschutz mehr möglich sein soll. Jede Regierung sollte Klarheit haben, auf welchen Flächen der Pflanzenschutz eingeschränkt werden soll. Im Text der Kommission gibt es für keinen einzigen Mitgliedstaat entsprechende Zahlen. Zudem muss transparent sein, wie sehr die geplanten Maßnahmen die Erträge in der Landwirtschaft einschränken. Das wollen nicht nur die Bauern aus existenziellen Gründen wissen. Das ist auch aus Gründen der Lebensmittelsicherheit eine wichtige Frage. Auch hier sind die Antworten überaus unbefriedigend: Die Autoren räumen lediglich ein, dass die Erträge bei Wein, Tomaten und Hopfen zurückgehen könnten. Es gibt EU-weit 105 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Relevant für die Lebensmittelsicherheit ist der Anbau von Getreide. Man will schon gern wissen, auf welchem Anteil der Flächen ab 2030 noch Pflanzenschutz möglich ist. Ohnehin ist klar, dass die Nutzpflanzen mit dem zusätzlichen Stress eines extremeren Klimas anfälliger sind für Schädlingsbefall. Der Bedarf an Pflanzenschutz wird also eher steigen. 

 

Massive Auswirkungen auf wirtschaftliche Grundlagen

 

Im Übrigen: Was ist die Botschaft, wenn die Kommission Einbußen bei den Sonderkulturen Weintrauben, Hopfen und Tomaten einräumt? Vermutlich schwingt da mit, dass ein Verlust von Erträgen verkraftbar ist, weil es sich bei Wein und Bier um Genussmittel handelt. Auch Tomaten sind nicht lebenswichtig. Die vielen Winzer, Hopfenbauern und Betriebe, die Tomaten ziehen, werden die Haltung, die in dieser Brüsseler Folgenabschätzung mitschwingt, zynisch finden. 

 

Es bleibt zu hoffen, dass dieser dürftige Bericht nicht das letzte Wort ist bei der Folgenabschätzung dieses wichtigen EU-Gesetzes. Niemand stellt die Brüsseler Ziele in Abrede: Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft muss sinken, um das Artensterben zu stoppen. Aber bei einer Verordnung, die massive Auswirkungen auf wirtschaftliche Grundlagen der Landwirtschaft wie auf die Ernährungssicherheit von 440 Millionen EU-Bürgern hat, ist es die Pflicht der Co-Gesetzgeber, auf der Basis von belastbaren Informationen zu entscheiden. Auch im zweiten Anlauf grenzt die Folgenabschätzung an eine Verhöhnung von Rat und Parlament. 

 


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