Welche Wahrheit liegt im Wein?

Winzer sehen ihre Existenz gefährdet, weil die EU den Einsatz chemischer Mittel in Landschaftsschutzgebieten verbieten will
Weinstock mit blauen Trauben. (Symbolbild: jplenio)
Weinstock mit blauen Trauben. (Symbolbild: jplenio)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Fritz Keller nennt es „eine Verstädterung der Hirne“ , wenn er über den Verordnungsvorschlag der EU zürnt, die ab 2030 Landwirten jeglichen Pflanzenschutz in Landschaftsschutzgebieten verbieten soll. Denn Keller ist mit Leib und Seele Winzer, ein hochdekorierter und höchst engagierter dazu, auch wenn ihn weniger kundige Weinliebhaber noch eher als ehemaligen DFB-Präsidenten in Erinnerung haben. Und er fürchtet, dass die neuen Brüsseler Vorgaben das Aus gerade für viele Winzer in Baden, Württemberg und an der Mosel bedeuten könnten. Und für manche kleinen Gemüsebauern und Viehhalter obendrein.

 

Es geht vor allem um Steillagen und Kleinterrassen, die - obwohl anerkannt ökologisch und in Sachen Biodiversität ungeheuer wertvoll - ohne Pflanzenschutz nicht zu erhalten sind und denen die Versteppung droht. Jetzt aber droht ohne Bewirtschaftung der Weinberge vor allem den Wildbienen ein Verlust ihrer Gebiete und den pflegeintensiven, Hangrutsche verhindernden Natursteinmauern der Einsturz.

 

Das Ziel der EU ist klar und klingt auf den ersten Blick überzeugend. Der Einsatz von Pestiziden soll in so genannten empfindlichen Gebieten, zu denen nicht nur öffentliche Parks, Gärten und menschliche Siedlungen, sondern sämtliche Natur- und Landschaftsschutzgebiete zählen, deutlich verringert werden. So weit, so gut.

 

Winzer: Werden falsch eingeordnet

 

Doch die Winzer in Baden-Württemberg fühlen sich dabei zu Recht falsch eingeordnet. Sie sehen sich eben auch als seit Jahrhunderten tätige Landschaftsschützer. Seit langem verzichten sie auf chemische Keulen und spritzen keine Insektizide mehr. Seit 1988 werden Schädlinge über die so genannte biologische Verwirrmethode bekämpft, bei der in Ampullen ausgehängte Pheromone zum Einsatz kommen. Aber auch das will der EU nicht reichen.

 

Doch sowohl konventionell wie ökologisch arbeitende Betriebe müssen auch künftig Pilzkrankheiten bekämpfen dürfen, um die Weinberge gesund zu halten. Sie arbeiten dazu bereits heute mit Backpulver und Kräutertees. Aber auch das will die EU-Verordnung verhindern. Fritz Keller und seine Kollegen formulieren es so: Das wäre das Ende für den Lemberger oder Spätburgunder aus Baden und Württemberg, weil die sich nicht einfach in der Toskana oder in Spanien anbauen ließen.

 

Mehr als ein Drittel der Rebfläche bundesweit betroffen

 

Nach Schätzungen des Deutschen Weinbauverbandes sind bundesweit von dem drohenden Pflanzenschutzverbot mehr als ein Drittel der etwa 102.000 Hektar großen Rebfläche betroffen. Baden und Württemberg belegen mit 16.000 bzw. 11.500 Hektar unter den 13 deutschen Weinanbaugebieten die Plätze 3 und 4.

 

Man kann Kellers ökonomisch wie ökologisch motivierten Zorn verstehen, wenn er sagt: „Wir stellen fest, dass alle paar Jahre ein paar schlaue Stadtökologen daherkommen und sagen, dass alles wild sein müsse und nichts kultiviert werden dürfe. Da muss ich klar sagen: Sorry Leute, das ist Bullshit.“

 

Das mag übertrieben klingen. Aber die Sorge, dass es mit der Verordnung keinen traditionellen Weinbau mehr geben wird, ist berechtigt. Im Wein liegt die Wahrheit? In Brüssel und am Kaiserstuhl liegen beide wohl noch weit auseinander.

 


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