Ländlicher Raum in Gefahr

Lange hat die EU-Kommission Folgen des Renaturierungsgesetzes kleingeredet. Jetzt bekommt sie politisch Gegenwind

Dunkle Wolken ziehen über ein Getreidefeld. (Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de)
Dunkle Wolken ziehen über ein Getreidefeld. (Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, macht sich mit seinem Renaturierungsgesetz wenig Freunde. Zum ersten Mal in der Geschichte des Europaparlaments weigert sich die christdemokratische Fraktion (EVP), einen Gesetzgebungsvorschlag der Kommission im parlamentarischen Verfahren auch nur zu bearbeiten. Timmermans droht in diesen Tagen eine Blamage: Das Renaturierungsgesetz läuft große Gefahr, als erstes Gesetz des Green-Deal komplett zu scheitern.

 

Zu Recht: Die Kommission ist bis heute nicht in der Lage (oder willens), die Folgen des Gesetzes auf den ländlichen Raum zu deklinieren. Um die sicherlich wichtigen Ziele beim Artenschutz zu erreichen, hat die Kommission die Parole ausgegeben, dass bis 2030 Reparaturmaßnahmen an einem Fünftel der Flächen zu Lande und zu Wasser stattfinden sollen. Die Wiedervernässung von ehemaligen Mooren ist ebenso geplant wie die Renaturierung von Flussläufen auf einer Länge von 25.000 Kilometern.

 

Die notwendigen Maßnahmen könnten dazu führen, dass auf vielen Flächen landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Konkret heißt das: Bauern sind von Berufsverbot sowie einer weitgehenden Enteignung ihrer Böden bedroht. In Deutschland, so die Schätzung, könnte eine Million Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (von insgesamt 16,6 Millionen Hektar) gar nicht mehr oder sehr eingeschränkt bearbeitet werden. Allein die Hälfte der in Deutschland zu vernässenden ehemaligen Moore liegen in Niedersachsen – eine Region mit intensiver Landwirtschaft. Die Kommission hat auf konkrete Nachfrage erklärt, künftig könne man auf den betroffenen Flächen doch Wasserbüffel grasen lassen und Reis anbauen. Hochrechnungen für Belgien gehen davon aus, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche bei Umsetzung des Gesetzesentwurfes um 27 Prozent zurückgehen würde.

 

Existenz von Bauern bedroht

 

Damit zeichnet sich ab, dass das Renaturierungsgesetz nicht nur eine Bedrohung für die wirtschaftliche Existenz von vielen Bauern ist, sondern auch fatale Folgen für die Nahrungsmittelsicherheit in Europa haben könnte. Es ist zu befürchten, dass dadurch die Produktion von Lebensmitteln in der EU zurückgehen und mehr Nahrungsmittel importiert werden müssten.

 

Die Kommission hat handwerklich keinen überzeugenden Vorschlag gemacht. Sie versucht auch noch, dieses schlechte Gesetz mit skandalösen Methoden umzusetzen. Auf Steuerzahlerkosten hat die zuständige Generaldirektion Umwelt (GD ENV) eine Lobbyorganisation gegründet. Die Plattform „EU Business & Biodiversity“ hat die Aufgabe, eine Kampagne zugunsten des umstrittenen Gesetzesentwurfs zu machen. Sie verschickt an andere Interessenvertreter mehrere Seiten mit Argumentationshilfen. Und: Sie verteilt sogar Listen und Mailadressen von Abgeordneten, die man noch umstimmen müsste, um dem Vorschlag parlamentarische Mehrheiten zu sichern. Naturgemäß sind viele Abgeordnete der Christdemokraten und der Liberalen im Fokus.

 

Ein dreister Angriff auf die Gewaltenteilung

 

Dieses Vorgehen ist empörend. Timmermans und seine Truppe trauen ganz offensichtlich dem eigenen Vorschlag nicht viel Überzeugungskraft zu. Es ist zudem ein dreister Angriff auf die Gewaltenteilung, wenn die Kommission nun anfängt, bei den Abgeordneten zu lobbyieren. Der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments ist aufgerufen, das Gebaren zu prüfen und abzustellen.  Zudem ist überfällig, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Stellvertreter zur Raison ruft. Es sind nur noch weniger als zwölf Monate bis zu den nächsten Europawahlen. Während es der Kommissionspräsidentin gelingt, die gebotene Überparteilichkeit zu wahren, ist nicht einzusehen, dass ihr Vize schon jetzt in die parteipolitischen Niederungen des Wahlkampfes absteigt.

 


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