Von wegen abgehängt – der Land-Motor läuft

Wachsende Produktivität, steigende Beschäftigtenzahlen: Die ländlichen Räume holen wirtschaftlich weiter auf

Impression aus dem ländlichen Raum. (Foto: Jan Freese / pixelio.de)
Impression aus dem ländlichen Raum. (Foto: Jan Freese / pixelio.de)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Die Zahlen aus dem Thünen-Institut, der zentralen Forschungseinrichtung des Bundes für die ländlichen Räume, verkünden Gutes: Zwischen den Jahren 2000 und 2019 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den ländlichen Regionen preisbereinigt um stattliche 26,7 Prozent gewachsen. Die Ballungsgebiete, so Dr. Jan Cornelius Peters vom Fachinstitut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen auf einer Tagung in Berlin, kamen im gleichen Zeitraum bei der Wirtschaftskraft auf einen Zuwachs von 23,5 Prozent. 

 

Ausschlaggebend für das Plus ist eine um 22 Prozent gestiegene Arbeitsproduktivität in den ländlichen Regionen (Ballungsgebiete: plus 12). Vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, im nördlichen Niedersachsen und Brandenburg ist diese Entwicklung ausgeprägt. Der Stadt-Land-Abstand verringert sich. Doch auch innerhalb der Gruppe der ländlichen Gebiete nehmen die Unterschiede ab. Wissenschaftler wie Peters sprechen von „sinkenden regionalen Disparitäten“. Der Land-Motor läuft – aber in den Regionen nach wie vor unterschiedlich kraftvoll. 

 

Wie geht es nach den Corona-Jahren, die Stadt und Land kurzfristig höhere Arbeitslosenzahlen bescherten, weiter? Welche wirtschaftlichen Perspektiven ergeben sich? Auf welchen Gebieten wird die regionale Wertschöpfung in den Regionen stattfinden? Denn Klimakrise, demografischer Wandel, Folgen des Ukraine-Kriegs, hohe Energiepreise, digitale Transformation und Fachkräftemangel treffen Stadt und Land gleichermaßen.

 

Dr. Klaus Heider, im Ministerium für den Bereich Ländliche Entwicklung und Digitale Innovation zuständig, verkennt nicht die Herausforderungen, leitete daraus auf der Tagung aber ganz im Sinne der Ampelpolitik vor allem Chancen ab. Beispiel Klimawandel: Im Ministerium sieht man die ländlichen Räume beim Ausbau und bei der Nutzung der regenerativen Energien in einer Schlüsselrolle. Beispiel Industrie: Ländliche und schon heute industriell geprägte Regionen könnten Standorte für die Halbleiter- oder Batterieproduktion werden. Beispiel Mobilität: In Landkreisen mit einer guten Nahverkehrsstruktur funktioniere auch ein 49-Euro-Ticket.

 

Viele engagierte Menschen

 

Für Anne Benett-Sturies, Staatssekretärin im neu aufgebauten und breit aufgestellten schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium, sind ländliche Räume „Chancenräume“. Auf der Fachtagung plädierte sie auch deshalb dafür, dass Bund und Länder bei den anstehenden schwierigen Haushaltsgesprächen die ländlichen Räume im Blick behalten. Dort gebe es viele engagierte Menschen, die anpacken wollen, und ebenso gute Lösungsansätze. Ein Großteil der Gesellschaft habe in der Pandemie den besonderen Wert der Regionen neu schätzen gelernt. Es sei wichtig, die Menschen im ländlichen Raum zu unterstützen und zu motivieren.

 

Förderung ist tatsächlich wichtig. Schlechte digitale Infrastruktur und fehlende Verkehrsanbindungen erschweren zum Beispiel vielerorts die Erreichbarkeit. Und die ländlichen Regionen werden stärker als Metropolen von einem Fachkräfteengpass betroffen sein. 

 

Fachkräfteengpass hat mehrere Gründe

 

Dr. Peters vom Thünen-Institut nannte dafür mehrere Gründe: die mancherorts schon vorhandene Vollbeschäftigung, ein hohes Durchschnittsalter der Erwerbstätigen, ein hoher Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen mit tendenziell geringeren Ressourcen für Anpassungen, ein Attraktivitätsproblem der dualen Ausbildung und eine Qualifikationsschieflage am Ausbildungsmarkt. 

 

Ein Thema, das man in manchen Regionen offensichtlich erkannt hat. Auf der Fachtagung stellte beispielsweise die interkommunale Initiative „Wirtschaftsband A9 Fränkische Schweiz“ ihre Wirtschafts- und Juniorenakademie vor. Die Wirtschaftsförderung Erzgebirge räumte wiederum mit Vorurteilen auf, die einen Zuzug bremsen: Viele Menschen denken beim Erzgebirge an Tourismus und Räuchermännchen und wissen nicht, dass die Region Industrie- und Technologiestandort mit rund 16.500 klein- und mittelständischen Unternehmen ist. Der Erzgebirgskreis liegt im deutschlandweiten Vergleich bei der Anzahl der produzierenden Betriebe (Industrie) sogar auf Platz vier.

 


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