Das Landvolk auf dem Abstellgleis

Wo kein Zug (mehr) fährt, ist das Deutschland-Ticket eher Last als Segen

Ein stillgelegter Bahnhof. (Foto: Reuter / pixelio.de)
Ein stillgelegter Bahnhof. (Foto: Reuter / pixelio.de)

 

Von Michael Lehner

 

Im Speckgürtel der größeren Städte sorgt das Deutschland-Ticket schon für wachsendes Interesse – und steigende Preise – auf dem Immobilienmarkt. Der Billigfahrschein macht das Pendeln kostengünstig. Aber leider nur für Bewohner von Gemeinden mit ordentlichem Angebot im Nahverkehr. Die Anderen müssen sogar fürchten, dass die Bahnbetreiber die Zuschuss-Kosten durch weitere Ausdünnung der Nebenstrecken kompensieren.

 

Die jüngsten Umfragen belegen das Ungleichgewicht: Nur ein gutes Viertel der Deutschen überlegt, das Sonderangebot zu nützen. Aber nach Angaben der Bahn AG haben schon 500.000 Berliner gebucht. Weil die Steuergeld-Zuschüsse auch von Landbewohnern mitgetragen werden, die vom 20-Minuten-Takt nur träumen können, bahnt sich weitere Ungerechtigkeit an. Dem Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in allen Landesteilen bringt das Dumping-Ticket die Republik nicht näher.

 

Im Gegenteil droht auch dem Ziel der Klima-Verbesserung eine Enttäuschung: Gerade im ländlichen Raum, wo die Menschen notgedrungen viel mit dem Auto fahren, wäre weiterer Abbau im Nah- und Regionalverkehr auch ökologisch ein Irrweg. Trotzdem steht zu fürchten, dass die auf die Wählerstimmen-Übermacht der großen Städte schielende Ampel-Politik weiteren Kahlschlag im öffentlichen Verkehrsnetz ländlicher Räume duldet.

 

Interessen revierferner Regionen werden ignoriert

 

Die durch Auslandsabenteuer und Hochgeschwindigkeitszüge permanent klamme Bahn AG lässt jedenfalls bisher nicht erkennen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hätte. Von den riesigen Entfernungen zwischen den ICE-Haltepunkten bis zur Preisgestaltung spricht alles für ein abgehobenes Denken, das die Interessen revierferner Regionen ignoriert. Das gilt – nebenbei – auch für den Güterverkehr und den einst florierenden Stückgut-Transport.

 

Nicht nur Pendler in der Provinz bleiben so außen vor. Auch Industriebetriebe im ländlichen Raum müssen ohne den ökologisch sinnvollen Standort-Vorteil Bahnanschluss auskommen. Und oft führen die nicht mehr genutzten Gleise zu ebenso verwaisten Fabrik-Ruinen. Zeichen einer über Jahrzehnte vernachlässigten Verantwortung für die Infrastruktur abseits der Metropolen. Das Wohlfahrts-Ticket (bezeichnender Weise anfangs nur für Smartphone-Besitzer nutzbar) wird solche Erbsünden nicht heilen.

 

Auch der dem öffentlichen Nahverkehr sicherlich wohlgesonnene „Spiegel“ erkennt die Unwucht: „Wenn ab Mai das 49-Euro-Ticket kommt, werden zwar viele von einem günstigeren und einfacheren Nahverkehr profitieren – allerdings nicht in allen Regionen gleichermaßen.“ Da tröstet es wenig, wenn die Chefin der Online-Plattform „Immoscout24“ bejubelt, dass aktuell 57 Prozent der Großstadt-Menschen einen Umzug aufs Land erwägen: „Das Deutschland-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr bietet für viele die Möglichkeit, kostengünstiger als bisher zur Arbeit in die Stadt zu pendeln.“ 

 


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