Freihandel ja, aber nur unter fairen Bedingungen

Im Rahmen des Mercosur-Abkommens will die EU ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit einem Zusammenschluss von südamerikanischen Staaten vertiefen

Die Wirtschaftsgemeinschaft „Mercosur“ (Mercado Común del Sur/"Gemeinsamer Markt des Südens") wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ins Leben gerufen. Venezuela stieß 2006 dazu. (Grafik: iStock/AlexLMX)
Die Wirtschaftsgemeinschaft „Mercosur“ (Mercado Común del Sur/"Gemeinsamer Markt des Südens") wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ins Leben gerufen. Venezuela stieß 2006 dazu. (Grafik: iStock/AlexLMX)

 

Von Jürgen Wermser

 

Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, aber auch die zunehmenden Spannungen mit China haben gezeigt, wie wichtig eine sichere Versorgung mit zwingend notwendigen Produkten ist. Das reicht von Energie über Computerchips bis hin zu lebenswichtigen Medikamenten. Hier ist von Politik und Wirtschaft über Jahrzehnte recht blauäugig verfahren worden. Hauptsache billig und reichlich, erpresserische Situationen wie jetzt im Fall Putin und Gas schienen unvorstellbar. Schließlich war auch in Krisenzeiten immer geliefert worden. Das hat sich als fataler Irrtum erwiesen.

 

Umso wichtiger ist, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Strategische Fehler wie im Falle gegenüber Russland dürfen sich keinesfalls wiederholen. Hierzu gehört, in der EU stets eine ausreichende Produktion von Lebensmitteln zu garantieren. Insofern ist auch die Landwirtschaft ein Sektor, der unter Sicherheitsaspekten eine herausragende Rolle spielt. Entsprechend sensibel sollte sich die Politik in Agrarfragen verhalten und nicht leichtfertig Risiken provozieren, die unter Umständen Tausenden von Betrieben die Existenz kosten könnte. Und in einer möglichen Krisen- oder Notstandslage die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gefährdet - eine Schreckensvision.

 

Vor diesem Hintergrund sollte auch die jüngste gemeinsame Erklärung des deutschen und des französischen Bauernverbandes gesehen werden, in denen DBV-Präsident Joachim Rukwied und FNSEA-Präsidentin Christine Lambert vor einer „fehlgeleiteten Handelspolitik“ der EU warnen. Konkret geht es ihnen um das EU-Mercosur-Abkommen, in dem die Europäische Union und ein Zusammenschluss von südamerikanischen Staaten die wirtschaftlichen Beziehungen vertiefen wollen.

 

Ratifizierung steht noch aus

 

Über den Freihandelsteil zwischen der EU und den Mercosur-Staaten konnte bereits im Juni 2019 eine Einigung erzielt werden. Das Abkommen muss nun von der EU und ihren Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Momentan wird der Text noch von den Vertragsparteien juristisch überprüft. Sobald dies abgeschlossen ist, sollen die Ratifizierungen durch den Europäischen Rat, das Europaparlament und die jeweiligen nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten erfolgen. Ein genauer Zeitplan hierfür ist noch nicht festgelegt.

 

Auf der Agenda stehen der Abbau von Zöllen, die Vereinfachung von Zollverfahren, Marktzugang bei Dienstleistungen, Investitionen und öffentlicher Beschaffung sowie die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen. Für die EU-Unternehmen würde sich ein Markt von 260 Millionen Konsumenten öffnen. Das Problem dabei: Die betreffenden südamerikanischen Staaten sind bei Rindfleisch, Zucker, Ethanol und Geflügel sehr wettbewerbsfähig. Entsprechend besorgt sind Rukwied und Lambert, ob die europäische EU-Landwirtschaft die neuen Herausforderungen auch tatsächlich bewältigen kann.

 

Gewiss, auch die deutschen und französischen Landwirte wollen und müssen sich dem Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten stellen - allerdings sollten dabei gleiche Bedingungen herrschen. Rukwied bringt es so auf den Punkt: „Agrarimporte aus Drittländern dürfen die hohen und kostenintensiven EU-Standards im Verbraucher-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz nicht unterlaufen.“ Insofern sei für eine erfolgreiche Umsetzung des europäischen Green Deal eine grundlegende Anpassung der Handelspolitik erforderlich. Das Mercosur-Abkommen müsse deshalb nochmals auf Umwelt- und Klimaverträglichkeit sowie Tierwohl überprüft und an die europäischen Standards angepasst werden.

 

Chancen durch neue Märkte

 

Natürlich ist eine Ausweitung des Handels mit Südamerika angesichts der neuen Weltlage sinnvoller denn je. Hier könnten die Europäer bessere Zugänge zu einem Markt finden, der abseits der großen weltpolitische Konfliktlinien liegt. Und auch für Unternehmen aus den Mercosur-Staaten böten sich viele neue Absatzmöglichkeiten. Auf beiden Seiten des Atlantiks könnten so Wohlstand und die Zahl der Arbeitsplätze gesichert oder gar gemehrt werden. Kurzum, von einem solch großen Wirtschaftsraum würden alle profitieren - wenn alles fair zugeht und keine Seite durch Billigprodukte, die etwa ökologische, klima- und tierwohlgerechte Standards zuwiderlaufen, einseitige Wettbewerbsvorteile erzielen kann. Deshalb sollte die EU die besorgten Fragen des deutschen Präsidenten und seiner französischen Kollegin sehr ernst nehmen. Denn besser spät ein gutes Freihandelsabkommen als zu früh ein schlechtes.

 


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