Hunger als Waffe

Der russische Angriff auf die Ukraine macht deutlich, wie strategisch wichtig die heimische Landwirtschaft ist

Mähdrescher lädt nach der Ernte Mais auf einen Anhänger. (Symbolbild: Franz W.)
Mähdrescher lädt nach der Ernte Mais auf einen Anhänger. (Symbolbild: Franz W.)

 

Von Jürgen Wermser

 

Putins Krieg hat bereits jetzt tausende Menschenleben gekostet. Das Leid in Kiew, Mariupol und den vielen anderen attackierten Orten der Ukraine lässt sich kaum in Worte fassen. Und der Schrecken zieht weitere Kreise. Wegen der Kämpfe werden in vielen Teilen der Welt mittlerweile Lebensmittel knapp oder für die Ärmeren nahezu unbezahlbar. Denn Russland und die Ukraine gehörten bislang zu den größten Exporteuren von landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere Weizen. Und diese Lieferungen fallen jetzt weitgehend aus.

 

Für die deutsche Agrarpolitik und damit den ländlichen Raum könnte dies tiefgreifende Folgen haben. Denn so wichtig eine langfristige Umstellung der hiesigen Betriebe auf Maßnahmen gegen den Klimawandel ist: Kurzfristig heißt es, ausreichende Mengen zu produzieren, um möglichst viele Menschen in der Welt mit Nahrung zu versorgen.

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat dem Kreml zu Recht vorgeworfen, Hunger als Kriegswaffe einzusetzen. In einer Videoansprache an das irische Parlament sagte Selenskyj, Russlands Armee zerstöre die Lebensgrundlage der Menschen und blockiere die Häfen des Landes. Selenskyj warnte zudem vor einer globalen Hungerkrise, da die Ukraine bislang ein wichtiger Exporteur von Getreide gewesen sei.

 

Feldarbeit für Kleinbauern zu teuer

 

Man muss nur ans Horn von Afrika oder in den Libanon blicken, um zu erkennen, wie begründet die Befürchtung des ukrainischen Präsidenten ist. Mitarbeiter der Welthungerhilfe berichten aus Beirut, dass Schulen wegen der hohen Lebensmittelpreise oft kein Mittagessen mehr anbieten könnten. Viele Familien müssten auf ganze Mahlzeiten verzichten. Kein Wunder, denn nach dem Zehn-Jahres-Hoch in 2021 ist Weizen im Libanon in den ersten Kriegswochen rund 60 Prozent teurer geworden. Und eine Umkehr dieses Trends zeichnet sich nicht ab. Hinzu kommen eine seit Jahren andauernde Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation und die Folgen der Corona-Pandemie. Viele libanesische Kleinbauern bestellen ihre Felder nicht mehr, weil sie sich den Treibstoff für Traktoren und Pumpen nicht mehr leisten können.

 

Ähnlich dramatisch und teilweise noch schlimmer sind die Folgen in Staaten wie Somalia, Äthiopien oder Eritrea. Dort am Horn von Afrika herrscht die schlimmste Dürre seit 1981. Und jetzt explodieren wegen des Ukraine-Kriegs auch noch die Preise. Der Direktor des Welternährungsprogramm (WFP) erklärte vor diesem Hintergrund im UNO-Sicherheitsrat, der Krieg in der Ukraine könne Auswirkungen haben, die über alles hinausgehen, was wir seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Er warnte von Hungerrevolten und massiver Einwanderung nach Europa - deutlicher geht es von Seiten des WFP kaum.

 

Zeitenwende auch für Agrarpolitik

 

Deutschland muss sich auf ein solches Szenario in vielfältiger Weise einstellen. Hierzu gehört, der weltweiten Verknappung und Verteuerung von Grundnahrungsmitteln wie Weizen entgegen zu arbeiten. Das heißt: mehr und möglichst günstig zu produzieren, solange Putin Hunger als Kriegswaffe einsetzt. Auch danach muss vieles neu auf den Prüfstand. Denn der von Kanzler Scholz als „Zeitenwende“ bezeichnete Ukrainekrieg zwingt dazu, sich stärker auf bislang politisch Undenkbares einzustellen. Dazu gehört die Verteidigung gegen alle Formen von hybriden Angriffen - inklusive gewaltsam geschaffener Nahrungsmittelkrisen wie aktuell durch Putin.

 

Gewiss, Deutschland ist bislang ausreichend versorgt, und alles spricht dafür, dass dies dank einer leistungsfähigen heimischen Landwirtschaft auch so bleibt. Aber die Bundesrepublik ist keine politische und wirtschaftliche Insel. Wir müssen in Notfällen anderen Staaten mit Nahrungsmitteln helfen können, damit diese - und mittelbar auch wir selbst - nicht durch Autokraten wie Putin in eine gefährliche Zwangslage und Instabilität geraten. Voraussetzung dafür ist eine kluge, weitsichtige Agrarpolitik, die dem ländlichen Raum, seinen Bauern und Betrieben gute Zukunftschancen sichert. 

 


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