Ein „Weiter so“ hat Berlin nicht verdient

Schon aus Selbstachtung sollte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ihr Klammern an die Macht beenden und einen vom Wähler gewollten Wechsel akzeptieren

Zweitstimmen (Vergleich zu 2016), Berlin - Vorläufiges Ergebnis, 13.02.2023, 03:14:31 (Quelle: © Der Landeswahlleiter Berlin/Amt für Statistik Berlin-Brandenburg)
Zweitstimmen (Vergleich zu 2016), Berlin - Vorläufiges Ergebnis, 13.02.2023, 03:14:31 (Quelle: © Der Landeswahlleiter Berlin/Amt für Statistik Berlin-Brandenburg)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Wie viel klare Botschaften aus der Bevölkerung braucht Franziska Giffey noch, um das Scheitern zu erkennen? Die SPD, an der Spree einst für stolze Ergebnisse von jenseits der 30 und 40 Prozent gut, wurde mit historisch schlechten 18,4 Prozent abgestraft und rangiert nach bisherigem Stand nur wegen eines Unterschieds von mickrigen 105 Stimmen vor den Grünen auf Platz 2. Ihr Direktmandat in Neukölln, wo sie einst als Bezirksbürgermeisterin tätig war, hat Giffey krachend verloren. Keine Spur von Amtsbonus, teils vernichtende Noten bei der Beurteilung der rot-grün-roten Regierungsarbeit. Schon aus Selbstachtung sollte die Regierende Bürgermeisterin ihr Klammern an die Macht beenden und einen vom Wähler gewollten Wechsel akzeptieren.

 

Die bisherige Hauptstadtkoalition, in deren Verantwortung nicht zuletzt der Chaos-Wahltag 2021 mit den schweren systemischen Mängeln lag, überzeugt die Berliner ganz offensichtlich nicht mehr. Im Gegenteil: Dass sie die zentralen Themen wie Sicherheit und Ordnung, Verwaltungsumbau, Wohnungswirtschaft, Verkehr und Bildung mit linksgrünen Mitteln und teils ideologischen Scheuklappen beackert, nervt die Stadtgesellschaft zunehmend.

 

Nicht nur im Abgeordnetenhaus hat die CDU bei der Wiederholungswahl gegenüber 2016 deutlich zugelegt, auch in vielen wichtigen Bezirksparlamenten haben die Christdemokraten die SPD überholt. In Neukölln, wo Silvester der Mob auf den Straßen regierte, gewann die CDU drei der sechs Direktwahlbezirke zum Abgeordnetenhaus mit jeweils weit über 40 Prozent. In der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln stellt sie seit Sonntag die stärkste Fraktion.

 

Berlin ist nicht nur wegen der Zahl der Einwohner groß, die Hauptstadt ist auch die ihrer Fläche nach größte Kommune Deutschlands. In Steglitz-Zehlendorf haben die Menschen teils ganz andere Alltagsthemen als in Friedrichshain-Kreuzberg. Wer am westlichen Rande von Spandau lebt, hat andere Wünsche an die Verkehrspolitik als ein Bewohner von Berlin-Mitte.

 

Orientiert man sich an den Erststimmen-Mehrheiten bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und den neuen Mehrheitsverhältnissen in den Bezirksparlamenten, kommt ein schwarz-grünes Bündnis in Berlin dem Wählerwillen am nächsten. Kai Wegner, Spitzenkandidat der CDU, von der SPD im Wahlkampf noch aufgrund vermeintlich fehlender Optionen als der „einsame Kai“ verspottet, könnte es jetzt mit Geschick und einer fachlich begründeten Kompromissstrategie gelingen, die stabilen Grünen als Partner zu gewinnen.

 

CDU und Grüne mit gemeinsamen Gestaltungsmöglichkeiten

 

In den Bezirken hätten CDU und Grüne bei einem Schulterschluss gemeinsam viele Gestaltungsmöglichkeiten. Auch Bettina Jarasch, die in der Wahlnacht kurz davon träumte, die erste grüne Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden, könnte auf Sieg setzen: Besser mit einer starken CDU an den großen Berliner Themen arbeiten, als die zwei abgestraften Partner SPD und Linke bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl in einer Koalition durchschleppen. In Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind CDU und Grüne bereits Regierungspartner. Zwangsläufig ist so ein Regierungswechsel nicht. Nach dem überstandenen Wahlschock am Abend könnte es ebenso sein, dass sich Rot-Grün-Rot oder Grün-Rot-Rot mit einem modifizierten Koalitionsabkommen unter dem Grollen vieler Wähler zum Weitermachen entschließen. Die Grünen würden dies auf jeden Fall nutzen, um ihre Themen noch stärker zu platzieren.

 

Bundespolitisch erschwert das Berliner Ergebnis die Arbeit der Ampelkoalition. Vor allem die Liberalen, die nun zum fünften Mal hintereinander aus einem Landesparlament geflogen sind, dürften von Zukunftsangst getrieben mehr und mehr zu einem Unsicherheitsfaktor werden.

 


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