Wer rettet den Dialekt?

In vielen Regionen steht die Mundart vor dem Aus

Äffle & Pferdle – Botschafter des schwäbischen Dialekts und Kultfiguren. (Symbolbild: Alexas_Fotos)
Äffle & Pferdle – Botschafter des schwäbischen Dialekts und Kultfiguren. (Symbolbild: Alexas_Fotos)

 

Von Wolfgang Molitor

 

S’Gsälz, das ist für die Schwaben die Marmelade. Natürlich nur, wenn im Dialekt gesprochen wird. Den aber hört man nicht nur in Baden-Württemberg vor allem bei jungen Menschen immer seltener. Schlimmer: Nach der bisher umfangreichsten Untersuchung zum Sprachverhalten von Grundschülern in Baden-Württemberg des Ludwig-Uhland-Instituts der Uni Tübingen, in der fast 13.600 Schülerinnen und Schüler aus annähernd 700 Klassen sowie und mehr als 705 Lehrkräfte befragt worden waren, steht die Mundart in vielen Regionen vor dem Aus. Demnach sprechen in den Klassen 1 und 2 der Grundschulen nur noch zwischen 11 und 15,3 Prozent der Jungen und Mädchen Dialekt. Landesweit gesehen sind es noch etwa 30 Prozent der Erst- und Zweitklässler, die sich im Unterricht auf Schwäbisch, Alemannisch, Fränkisch oder Kurpfälzisch ausdrücken. Berücksichtigt man nur den jeweiligen Ortsdialekt, sind es etwa zwölf Prozent. 17,5 Prozent sprechen im Unterricht einen „nicht so starken Dialekt“. Die Kategorie „Regional gefärbtes Hochdeutsch“ trifft für knapp 42 Prozent der Kinder zu. Reines Hochdeutsch oder das, was man dafür hält, sprechen knapp 35 Prozent der jungen Schülerinnen und Schüler.

 

Das Fazit der Wissenschaftler: Die sprachliche Entwicklung geht eindeutig in Richtung Dialektverlust. Wobei es eine kleine Hoffnung gibt. Und die schlummert wieder einmal im ländlichen Raum. Denn dort hält sich der Dialekt, wenn auch zunehmend mit Mühe. Während vor allem in den ausufernden Städten die regionale Färbung deutlich verlorengeht, ist der ländliche Raum mit großer Entfernung zu den Ballungsräumen, wie etwa im Schwäbischen, ein Rückzugsgebiet mit großer Identitätsmöglichkeit.

 

Kein einfacher Gegensatz mehr

 

Ohnehin gibt es den einfachen Gegensatz zwischen Dialekt und dem sogenannten Hochdeutsch nicht nur im südwestdeutschen Raum nicht mehr. Viele Kinder bewegen sich mittlerweile auf verschiedenen Ebenen zwischen dem alten Ortsdialekt und dem, was man allgemein für Hochdeutsch hält, so eine Erkenntnis der Studie.

 

Auch wenn es einfach klingt: Eltern und Lehrkräfte sind die wichtigen Vorbilder für die Kinder, auch wenn es um den Dialekt geht. Die Einstellung gegenüber dem Dialekt spielt eine herausragende Rolle. Im Guten wie im Schlechten.

 

Sprachliche Variationen sind etwas Normales: Wenn das die allgemeine Einstellung der Erwachsenen ist, hält sich der Dialekt durchaus auch bei den Kleinen. Das zeigt eine Untersuchung bei Kindergartenkindern in der bayrisch-schwäbischen Region rund um Augsburg, Günzburg und Neu-Ulm. Dort werde der Dialekt von den betreuenden Personen im Kindergarten viel häufiger als schön, als wichtig und als Vorteil angesehen als das in Baden-Württemberg der Fall ist, so die Studie. Die wissenschaftliche Erkenntnis: Wird Dialekt – über Gedichte oder Liedtexte hinaus - bei einem Kind als positiv empfunden, steigt der Anteil der Dialekt sprechenden Kinder.

 

Dass der Dialekt dabei oft im Ruf des Peinlich-Provinziellen steht, hemmt das Bekenntnis und die Ausübung. Viele Menschen, die sich ihrer Heimat durchaus verbunden fühlen, sprechen Hochdeutsch, weil sie oft die Sorge haben, sie könnten für weniger intelligent gehalten werden, sobald sie Dialekt sprächen, so die Wissenschaftler. Auch die sozialen Medien und der Einfluss des Englischen ließen den Dialekt bei Jüngeren verschwinden.

 

Vorurteile setzen Dialekt zu

 

Als Hauptgründe für Rückgang der Mundart nennt die Studie mehrere Faktoren: vor allem die zunehmende Mobilität und das Verharren in „sprachlichen Ideologien“. Dazu zählt er den „Standardismus“ und die „Homogenisierung“, mithin die Annahme, dass es immer nur eine korrekte und damit auch höherwertige Ausdrucksform gebe. Dem Dialekt setzten solche Einstellungen und Vorurteile nachhaltig zu.

 

Große Hoffnungen auf eine Wiedergeburt des Dialekts machen sich die Wissenschaftler nicht. Ihr Fazit: Man kann die derzeitige Entwicklung zwar nicht aufhalten, aber aufklären, dass man den Leuten zumindest die regionale Färbung, den Dialekt der Region, als Teil der wichtigen Identifikation mit ihrer Heimat nicht nehmen darf.

 


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