Regierung muss klare Verhältnisse schaffen

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

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Liebe Leserinnen und Leser,

 

die Proteste der Bauern gegen Kürzungen beim Agrardiesel und andere Belastungen beherrschen momentan nicht mehr die Schlagzeilen. Die Aktionen sind zumeist weniger spektakulär als noch vor einigen Wochen. Entsprechend sinken der viel zitierte Nachrichtenwert und damit das Interesse der meisten Medien. Doch sollte sich niemand täuschen. Der Unmut der Landwirte und anderer Naturnutzer hält unvermindert an. Es sind jetzt eher kleinere Aktionen, mit denen die Bauern um Verständnis in der Bevölkerung werben. Ein Beispiel unter vielen war in dieser Woche eine Traktorensternfahrt mit anschließender Kundgebung in meinem Heimatkreis in der Lüneburger Heide. Dort sind auch in den kommenden Wochen jeweils donnerstags wieder kleinere lokale Aktionen geplant. Sie stehen unter dem Motto „5 vor 12“ und sollen im Wechsel in verschiedenen Kommunen stattfinden. Ähnlich sieht es in anderen Teilen Deutschlands aus. 

 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Wie unser Autor Ludwig Hintjens aus Brüssel berichtet, haben die anhaltenden Bauern-Proteste bei der EU jetzt Wirkung gezeigt. Vorab, so die Einschätzung von Hintjens, sei insgesamt zu beobachten, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem polnischen Agrarkommissar Janusz Wojciechowski mehr und mehr die Dinge aus der Hand nehme. Sie selbst treibe die Änderungen voran. Und das sind die Ad-hoc-Vorschläge, mit denen die Kommission die Landwirte besänftigen will:

  • Die Verpflichtung für Bauern, mit brachliegenden Flächen mehr für den Artenschutz zu tun, wird auch für 2024 außer Kraft gesetzt.
  • Bei den Anforderungen, Dauergrünland zu erhalten, macht die Kommission nun Abstriche. Von dieser Lockerung profitieren Viehhalter, die ihre Herden reduziert haben und die auf den frei werdenden Flächen Ackerbau betreiben wollen.
  • Sie stellt in Aussicht, auch bei den Regeln, vegetationslose Böden zu bedecken, noch etwas zu tun.
  • Bauern sollen nicht mehr so häufig Kontrollbesuche bekommen. Die Vor-Ort-Besuche der nationalen Behörden sollen um die Hälfte reduziert werden.

Neue Versprechungen aus Brüssel

 

Darüber hinaus verspricht die Kommission: Das Verfahren soll geklärt werden, wann Bauern sanktionsfrei bleiben, wenn sie sich bei Dürren, Bränden, Überschwemmungen oder anderen Phänomenen der höheren Gewalt nicht an die Regeln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) halten können. Außerdem will die Kommission an die Landwirte einen Fragebogen verschicken. Bei der Online-Befragung sollen die Bauern ausführlich Auskunft geben, wo ihnen bei den bürokratischen Verfahren zur GAP am meisten der Schuh drückt. Sie sollen auch Verbesserungsvorschläge machen können. 

 

Politische und rechtliche Veränderungen zugunsten der Bauern sind auch dringend notwendig. In der Landwirtschaft brennt es momentan finanziell an vielen Stellen. Beispiel Schweinehaltung. Auf der Mitgliederversammlung der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) in Osnabrück wurde jüngst deutlich, wie schlecht die Stimmung ist. Die Kostenschraube werde durch politische Vorgaben immer weiter angezogen. Man verwies auf steigende Kosten durch Tierhaltung, Emissionsauflagen und durch den Umbau auf höhere Haltungsstufen. „Die Kosten fressen die Gewinne auf“, wird ISN-Geschäftsführer Torsten Strack in den Medien zitiert. Auf jeden Schweinehalter kämen in Deutschland durch neue Auflagen zusätzliche Kosten von mindestens einer Million Euro, verlautete auf der Versammlung in Osnabrück.

 

Laut ISN haben deswegen in den vergangenen zehn Jahren 42 Prozent der Schweinehalterinnen und Schweinehalter in Deutschland bereits aufgegeben. Die Zahl der Tiere sank in diesem Zeitraum um etwa 25 Prozent. Derweil ist der Einzelhandel bestrebt, künftig mehr Fleisch aus höheren Haltungsstufen zu verkaufen. Für die Landwirte ist all dies eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Man könne sich eben auf nichts verlassen, was aus der Politik komme, fasst Niedersachsens Kult-Comedy „Günther der Treckerfahrer“ die Lage mit Blick auf die Osnabrücker Versammlung gewohnt launig zusammen.

 

Bauern-Proteste überall in Europa

 

Nicht nur in Deutschland, auch andernorts in Europa zeigt sich die Politik bislang nicht willens oder in der Lage, für solide und klarere Verhältnisse in der Landwirtschaft zu sorgen. So blockierten etwa in Polen protestierende Bauern längst nicht mehr nur Straßen oder fuhren mit ihren Traktoren in die Innenstädte. Auch brennende Autoreifen, Rauchbomben und verschüttetes Getreide sind mittlerweile an der Tagesordnung. Ging es anfangs um Ausgleichszahlungen für Mais, längere Kreditlaufzeiten und unveränderte Steuersätze, so richten sich die Proteste mittlerweile auch gegen alle Importe landwirtschaftlicher Güter aus der Ukraine. Denn diese sind günstiger als die von EU- Betrieben, aber sie entsprechen häufig nicht den Brüsseler Standards, was zwangsläufig zu verzerrten Wettbewerbsbedingungen führt. Auch in Tschechien protestieren Landwirte aktuell gegen die zollfreie Einfuhr von ukrainischen Waren, bei denen nicht die gleichen Standards herrschen. 

 

In Madrid legten Demonstranten mit Hunderten von Traktoren zeitweise den Verkehr in der Innenstadt lahm. Auch dort richtete sich der Protest vor allem gegen zu viel Bürokratie, zu geringe staatliche Beihilfen und Umweltauflagen der Europäischen Union. In Griechenland zogen Tausende Landwirtinnen und Landwirte mit Traktoren in dieser Woche vor das Parlament in Athen und forderten mehr Subventionen und Steuersenkungen. Sie beklagten stark gestiegenen Preise für Treibstoff und Dünger, eine hohe Abgabelast und bürokratische Hürden – alles Themen, die auch den deutschen Landwirten leider allzu vertraut sind. Die bereits seit Wochen andauernden Proteste gipfelten in der Blockade des Stadtkerns von Athen. Plakatives Motto, das auch hierzulande gelten könnte: „Ohne uns habt ihr nichts zu essen.“ 

 

Derweil macht die Ampelkoalition in Berlin, was sie momentan leider am besten kann: intern streiten und sich selbst blockieren. Mittendrin der Kanzler. Olaf Scholz mag sich zwar gerne in der Rolle des Moderators sehen. Doch das ist in der aktuellen Situation zu wenig. Wenn alles aus dem Ruder zu laufen droht, muss der Kapitän klare Ansagen treffen.

 

Unternehmen zunehmend unter Druck

 

Will der Kanzler nicht endlich politisch führen oder kann er es nicht? Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass ein Ruck durch diese Regierung geht. Denn auch wirtschaftlich wird die Lage in Stadt und Land immer heikler. Laut dem in der vergangenen Woche offiziell vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht senkt die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,3 auf 0,2 Prozent. Damit würde sich Deutschland in einer Stagnation befinden. Ähnlich schätzt der Sachverständigenrat der Bundesregierung die Entwicklung ein. Bislang waren die Experten von 0,7 Prozent Wachstum der deutschen Wirtschaft ausgegangen. Doch nach Angaben einer Wirtschaftsweisen sehe man mittlerweile allenfalls noch ein Mini-Wachstum. Eine Aktualisierung der Prognose ist für Mai angekündigt. Der Präsident des Ifo-Instituts befürchtet gar eine längerfristige Stagnation. 

 

„Wer heute baut, geht bankrott.“ 

Andreas Mattner, Präsident des zentralen Immobilienausschusses (ZIA)

 

Egal, wie die Zahlen am Ende tatsächlich hinter dem Komma lauten: Offenkundig besteht Handlungsbedarf. Die Alarmzeichen aus der Wirtschaft – nicht zuletzt aus dem ländlichen Raum – mehren sich. Besonders die Bauwirtschaft, in der auch viele Betriebe jenseits der großen Metropolen tätig sind, steckt in einer tiefen Krise. Oder wie ist es der Präsident des zentralen Immobilienausschusses (ZIA), Andreas Mattner, in dieser Woche bei der Vorlage des neuen Frühjahrsgutachtens seiner Organisation so plakativ sagte: „Wer heute baut, geht bankrott.“ Und welches Unternehmen oder welcher private Bauherr will das schon?

 

Der ZIA verweist bei der historischen Krise am Bau vor allem auf die gestiegenen Baukosten, zu hohe staatliche Abgaben und das hohe Zinsniveau. Im vergangenen Jahr hätten 20,7 Prozent der Unternehmen von stornierten Projekten berichtet. Das sei ein neuer Höchststand, sagte Mattner. 

 

Fazit: Es wird höchste Zeit, dass diese Regierung das macht, wofür sie gewählt wurde: regieren und die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Wohlstand verbessern. Falls es so wie derzeit weitergeht, könnte es spätestens im nächsten Jahr ein böses Erwachen geben – für diese Regierung, aber leider auch für Deutschland insgesamt und speziell den ländlichen Raum mit den vielen kleinen und mittleren landwirtschaftlichen und sonstigen Betrieben. 

 

Ungeachtet dieser zugegeben unerfreulichen Aussichten wünsche ich Ihnen ein persönlich angenehmes und erholsames Wochenende und dann einen guten Start in die neue Woche. 

Mit besten Grüßen

Ihr Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

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