Die Scheuklappen der Gentechnik-Gegner

Die EU will neue genomische Techniken (NGT) zulassen. Warum die Lobbyisten der Biobranche einen Fehler machen, wenn sie NGT mit klassischer Gentechnik gleichsetzen

Foto: Christian Beuschel / pixelio.de
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Von Ludwig Hintjens 

 

In Europa sind es nicht nur die Biobauern, die nichts von Gentechnik halten. Auch viele Molkereien werben damit, dass ihre Milchprodukte und der Käse das Etikett „gentechnikfrei“ oder „ohne Gentechnik“ tragen. Wirtschaftlich spielen in Deutschland und Europa Produkte, die mit der klassischen Gentechnik hergestellt wurden, auch kaum eine Rolle. Der Verbraucher kauft sie nicht.  

 

Nun deuten sich auf EU-Ebene Lockerungen in der Gesetzgebung für Pflanzen an, die mit sogenannten neuen genomischen Techniken (NGT) hergestellt wurden. Die Bioanbauverbände, konventionelle Hersteller, die mit „gentechnikfrei“ werben, lehnen diese Änderungen massiv ab. Auch die meisten Abgeordneten der Grünen und Sozialdemokraten im Europaparlament haben dies kürzlich getan, als in Straßburg der Gesetzgebungsvorschlag der Kommission für eine Liberalisierung der Techniken abgestimmt wurde. Die Gegner machen einen Fehler. Sie setzen die neuen genomischen Techniken mit der klassischen Gentechnik gleich. Das ist falsch. Sie machen es sich damit zu einfach. Längst gibt es Fachleute, Hochschullehrer etwa, die erklärte Anhänger der Biolandwirtschaft sind und dennoch für die Zulassung der neuen genomischen Techniken werben. Ihnen werden aber mit großer Rigorosität im eigenen Lager mundtot gemacht.   

 

Darum geht es in der Sache: Es soll jetzt Lockerungen geben für Pflanzen, die zwar gentechnisch verändert sind, deren Erbgut aber genauso im Laufe von herkömmlichen Züchtungen oder der Evolution hätten entstehen können. Der Pflanze wird also nicht ein Gen eines anderen Organismus eingesetzt. Der Eingriff ins Genom findet vielmehr etwa über die Genschere (CRISPR/CAS) statt. Der Unterschied ist gravierend. Und dennoch polarisieren die neuen genomischen Züchtungstechniken die Debatte.

 

Geschützte Wahlfreiheit des Verbrauchers

 

Das Europaparlament hat seine Position für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten jetzt festgelegt. Die Kennzeichnung von Pflanzen, die mit den neuen Züchtungstechniken hergestellt wurden, soll verpflichtend werden. Patente auf Pflanzen sollen in der EU verboten bleiben. Und: Es soll Vorsichtsmaßnahmen geben, damit sich die NGT-Pflanzen nicht auf Anbauflächen des Ökolandbaus ausdehnen. Die Bio- und „Gentechnikfrei“-Branche soll also weiterhin dazu in der Lage sein, mit ihrem Alleinstellungsmerkmal zu werben. Die Wahlfreiheit des Verbrauchers wird geschützt. Flankierende Maßnahmen sind geplant, vergleichbar den Abstandsregeln zwischen konventionell bewirtschafteten Feldern und Bioäckern, um die Abdrift von Pestiziden und Herbiziden zu unterbinden. Zudem sind Rückstandkontrollen und Grenzwerte denkbar, um zu dokumentieren, dass das Produkt weiterhin „gentechnikfrei“ ist. 

 

Die Liberalisierung der Züchtungstechniken ist im Interesse der Landwirte und der Lebensmittelsicherheit. Es werden Pflanzen auf den EU-Markt kommen, die resistenter gegen Dürre, erhöhten Schädlingsbefall bei Wetterextremen und andere Folgen des Klimawandels sind. Wenn die neuen Züchtungstechniken zugelassen werden, bedeutet dies auch mehr Chancengleichheit für die Landwirte in der EU. Ihre Mitbewerber etwa aus Südamerika und den USA nutzen die Möglichkeiten der neuen Technologien bereits seit Jahren. 

 

Bis sie mit ihren Konkurrenten auf dem Weltmarkt zumindest in diesem Punkt gleichziehen können, wird es dauern. Auf der Seite der Mitgliedstaaten hakt es noch. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es noch vor der Europawahl eine politische Einigung zwischen Parlament und Rat gibt. Damit dürfte die Liberalisierung frühestens 2025 in Kraft treten. Besser spät als nie. 

 


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