Fragezeichen hinter Diesel-Aus bei Nutzfahrzeugen

Brüssel stellt den Abschied vom Verbrenner bei Bussen und Lkws im Jahr 2027 noch einmal auf den Prüfstand

Foto: Zauberin
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Von Ludwig Hintjens

 

Die EU hat beschlossen, dass die Mobilität im Laufe der nächsten 15 Jahren Abschied nimmt vom Verbrennungsmotor und auf batterieelektrische Antriebe umsteigt. Die sogenannte Verkehrswende ist aber je nachdem, ob es sich um Pkw, Lieferwagen, Busse oder schwere Nutzfahrzeuge handelt, nicht vergleichbar. Die Voraussetzungen für den Umstieg auf das Elektroauto beim Pkw sind einigermaßen gegeben: Die öffentliche Ladeinfrastruktur ist, zumindest in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz, belastbar, die Fahrzeuge sind verfügbar, wenn auch zu deftigen Preisen. Die neueren E-Autos sind mit ihren Reichweiten einigermaßen praxistauglich. 

 

All diese Bedingungen sind bei den schweren Nutzfahrzeugen noch lange nicht gegeben. Es gibt noch so gut wie keine Lastwagen mit E-Antrieb für den Fernverkehr. Reichweiten von 500 Kilometern sind heute das Maximum. Diese Fahrzeuge sind etwa vier bis fünf Mal so teuer wie Dieselfahrzeuge, sodass kein Spediteur umsteigen könnte. Hinzu kommt, dass noch nicht einmal klar ist, welche CO₂-freie Antriebstechnologie sich am Ende durchsetzt: Wird es der E-Lkw? Macht auf der langen Strecke die Brennstoffzelle das Rennen? Oder gelingt noch der Durchbruch mit dem Wasserstoffverbrennungsmotor? 

 

Wenn mehrere Antriebstechnologien parallel gefahren werden, bedeutete dies massive Mehrkosten für den Aufbau von alternativen Lade- und Tankinfrastrukturen. Selbst wenn es am Ende auf eine Technologie hinausliefe: Batteriebetriebene Trucks benötigen Schnellladesäulen an den Autobahnen, mithin eine komplett andere Ladeinfrastruktur als Pkws. Sie ist nicht in Ansätzen vorhanden. 

 

Eine schwere Belastung für die Zukunft

 

Vor diesem Hintergrund muss man sagen: Die sich abzeichnenden Beschlüsse der EU zum Ausstieg aus dem Verbrenner bei Bussen und schweren Nutzfahrzeugen sind eine schwere Belastung für die Zukunft. Von 2030 bis 2035 soll der durchschnittliche CO₂-Ausstoß von neuen Lkw noch einmal um 45 Prozent sinken. Von 2025 bis 2029 steht bereits ein Minus von 15 Prozent im Auftragsbuch der EU. Ab 2039 soll der Dieselverbrennungsmotor bei Lastwagen dann so gut wie Geschichte sein. Die Hersteller müssen 90 Prozent der bisherigen CO₂-Emissionen bei Neufahrzeugen bis dahin einsparen. Die Motorenbauer werden sehr bald an die Grenzen ihrer Ingenieurskunst kommen, wo die Aggregate kaum mehr sparsamer werden. Das heißt, dass ein Großteil der Neufahrzeuge ab dem Jahr 2030 dieselfrei unterwegs sein muss. Neue Stadtbusse sollen ab 2035 nur noch emissionsfrei fahren. Das mag in Mitteleuropa und in ebenen Städten denkbar sein. In Nordeuropa mit kühlen Wintern und in weitflächigen Kommunen, in denen viele Steigungen zu bewältigen sind, kann das schon schwierig werden. 

 

Die EU will für den Notfall gerüstet sein

 

Es ist noch lange nicht gesagt, dass der politisch verordnete Umstieg auf CO₂-freie Antriebe bei den Nutzfahrzeugen gelingt. Daher ist es unerlässlich, dass die EU eine Überprüfungsklausel in den Gesetzestext einbauen will. Im Jahr 2027 wollen die EU-Beamten den Abgleich mit der Realität vornehmen. Das zeigt: Die EU will für den Notfall gerüstet sein. Kommt der Ausbau der Ladeinfrastruktur nach? Klappt die Bereitstellung von Nullemissionsfahrzeugen in für die Volkswirtschaft ausreichender Stückzahl? Braucht man am Ende einfach mehr Zeit, weil sich die Antriebstechniken nicht als tauglich erwiesen haben? Die Unsicherheitsfaktoren sind groß. 

 

Vier Jahre also läuft die Bewährungsfrist für die Verkehrswende bei Nutzfahrzeugen. Bei den anstehenden Herausforderungen ist das gewiss nicht lang. Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende die EU die Notbremse zieht und dem Diesel-Lkw, womöglich angetrieben mit synthetischen CO₂-freien Kraftstoffen, zur Renaissance verhilft. So schlecht sind Bürger und deutsche Industrie mit dieser Schlüsseltechnologie ja auch in den letzten 100 Jahren nicht gefahren. 

 


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