Wolfspolitik: Am Ende der Märchenstunden

Mit dem europäischen Schutzstatus der Raubtiere kommt auch das Bundesumweltamt unter Druck

Foto: Dieter Schütz / pixelio.de
Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

 

Von Michael Lehner

 

Über Jahrzehnte hat sich das Bundesumweltministerium hinter der EU-Kommission versteckt, um in Deutschland den europaweit strengsten Schutz einer rasant wachsenden Wolfspopulation zu rechtfertigen. Nun befürwortet auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen die Rückkehr zur Realität und zu Konfliktlösungen, die Mensch und Natur gerecht werden.

 

Wir von der Jägerstiftung sind die Anfeindungen aus dem Kreis der kompromisslosen Wolfs-Liebhaber seit vielen Jahren gewöhnt. Maßlose Beschimpfungen folgen da regelmäßig der sachlichen Feststellung, dass europäisches Recht weder dem Abschuss verhaltensauffälliger Wölfe noch der Ausweisung wolfsfreier Zonen entgegensteht.

 

Wahr ist: Neben Polen haben auch Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Bulgarien beim EU-Beitritt für ihre Wölfe den gelockerten Schutzstatus nach Anhang V der FFH-Richtlinie ausgehandelt. Dort – wie in Teilen Spaniens und Griechenlands – hat Brüssel nur wenig mitzureden beim Raubtiermanagement. Und es handelt sich dabei durchweg um Länder mit einer gegenüber Deutschland deutlich geringeren Wolfsdichte.

 

Unwahr auch die Behauptung, dass die Ausweisung wolfsfreier Zonen gegen Europarecht verstoße. Die EU hat immer akzeptiert, dass Schweden das gesamte Rentiergebiet seiner nördlichen Landesteile zum Schutz der Weidewirtschaft frei von Wölfen hält – gegebenenfalls auch durch Abschuss aus dem Polizeihubschrauber. Dass solche Ausnahmen nicht auch für die Sondersituation der alpinen Bergweide und der Deichschäferei an den Küsten möglich sein sollen, wurde oft behauptet. Aber nie belegt.

 

Sache der einzelnen EU-Länder

 

Das Ende der Fake-Argumente kommt näher, seit der zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkeviius im Frühjahr klarstellte, dass die Festlegung von Bestandsgrößen Sache der einzelnen Mitgliedsländer sei. Und die EU lediglich prüfe, ob es dabei wissenschaftlich korrekt zugehe. Aus Deutschland gab es vom zuständigen Bundesumweltamt zu diesem Zeitpunkt keine solchen Zahlen.

 

Nach groben Zählungen durch Jagd- und Bauernverbände dürfte die Zahl der in Deutschland lebenden Wölfe in diesem Jahr oberhalb von 1500 Tieren liegen. Das Umweltbundesamt zählt lieber Rudel – im letzten Jahr angeblich 163. Was -- je nach Sichtweise – mindestens 800, eher aber über 1000 Wölfe ausmacht. Zum Vergleich: In Schweden duldet die EU bei 400 Wölfen eine Lizenzjagd zur Bestandsregulierung.

 

Zum Tragen kommen in solcher Situation wohl auch Verflechtungen zwischen dem amtlich zuständigen Umweltbundesamt und dem mächtigen Naturschutzverband NABU. Unter der früheren Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD sorgte die Vergabe lukrativer Behördenposten an NABU-Funktionäre für Schlagzeilen. Mit dem Stabwechsel zur Grünen Steffi Lemke ist es an solcher Front deutlich ruhiger geworden.

 

Womöglich kein Wunder: Zumal in Bayern gärt es an der Grünen-Basis in den alpinen Regionen gewaltig. Lokal- und Regionalpolitiker der Öko-Partei solidarisieren sich öffentlich mit der Almbauern-Forderung nach Bestandsregulierung. Die Spitzenkandidaten der Grünen zur bayerischen Landtagswahl in knapp vier Wochen geben sich nun offen für die Lockerung der strengen Wolfsschutzregeln, die von der Staatsregierung ohnehin schon aufgeweicht wurden.

 

Wird Schutzstatus herabgestuft?

 

Längst ist Bayerns Staatsregierung nicht mehr allein mit der Forderung nach einer Raubtierpolitik mit Augenmaß. Unterstützung kommt vor allem aus Niedersachsen, aber auch aus Schleswig-Holstein. Und, vor allem, aus den übrigen EU-Ländern. Österreich und Schweden haben sich eben für einen neuen Anlauf zur Herabstufung beim Schutzstatus der Wölfe kurzgeschlossen. Wohl mit guten Erfolgschancen: Die Welt-Naturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature) listet das Raubtier schon geraume Zeit als in Europa „nicht gefährdet“.

 

Zudem zeigt sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen offen für den wohl bevorstehenden Wandel: „Die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen europäischen Regionen ist zu einer echten Gefahr für Nutztiere und potenziell auch für den Menschen geworden. Ich fordere die lokalen und nationalen Behörden nachdrücklich auf, Maßnahmen zu ergreifen, wo immer es erforderlich ist. Die heute geltenden EU-Regeln sehen solche Befugnisse ausdrücklich vor.“

 

Bis zum 22. September 2023 sollen nun die national zuständigen Behörden aktuelle Daten über die wachsenden Wolfspopulationen und die Folgen nach Brüssel liefern. Was das Bundesumweltamt bis dahin liefern kann (und liefern möchte) ist die wirklich spannende Frage.

 


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