Wolfsabschuss: Prozessieren um den heißen Brei

100 Prozent Raubtier-Schutz spalten nicht nur Bevölkerung und Politik, sondern auch die Justiz

Drei Wölfe im Wald. (Symbolbild: jggrz)
Drei Wölfe im Wald. (Symbolbild: jggrz)

 

Von Michael Lehner

 

Die Rechtslage bleibt weiter ungeklärt: Ob ein Wolf mehr wert ist als das Leben von Haus- und Nutztieren, ist in Deutschland eine bereits seit zwei Jahrzehnten offene Frage. Wie der Streit, ob es schon genug Wölfe gibt zwischen Nordfriesland und den Ammergauer Alpen. Und ob Politik ein Machtwort sprechen darf zum Schutz von Deichschafen und Almwirtschaft?

 

Ein wenig verkürzt gesagt, kommt es auch drauf an, in welchem Bundesland die Wölfe heulen. Im Strafverfahren wohl auch darauf, wie Richter und Staatsanwalt zur Sache stehen. Und bei der Entnahme verhaltensauffälliger Wölfe auch darauf, ob die betroffene Landesverwaltung die Spielräume nützt, die das europäische Recht den EU-Mitgliedsstaaten durchaus zubilligt.

 

Der Juristenspott, dass der Mensch vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sei, hat in diesem Zusammenhang durchaus eine gewisse Berechtigung. Zum Beispiel in Brandenburg, wo ein Gastjäger aus Holland eben in zweiter Instanz freigesprochen wurde von der Anklage, rechtswidrig einen Wolf erlegt zu haben. Es geschah auf einer Drückjagd, der Wolf hatte die dabei eingesetzten Hunde angegriffen und ließ sich weder durch Händeklatschen noch durch einen Warnschuss davon abbringen.

 

Was ist im Zweifel das schützenswertere Rechtsgut?

 

So weit die Fakten, nun die Rechtslage: Vor dem Strafgesetz sind Haustiere nach wie vor eine Sache. Der Wolf hingegen genießt den höchstmöglichen Artenschutz nach europäischem Naturschutzrecht. Was die bisher vom deutschen Gesetzgeber nicht geklärte Frage verdeutlicht, ob ein Hund (oder auch ein Rindvieh) im Zweifel das schützenswertere Rechtsgut sind.

 

Und da gehen die Zweifel offenbar sogar in Brandenburg auseinander: Der jüngste Fall betrifft den dritten aufgeklärten brandenburgischen Wolfsabschuss seit dem Jahr 1994. Im ersten Fall kam der Schütze noch mit einer Geldbuße von 800 Mark davon. Ein Gastjäger aus Dänemark musste im Jahr 2018 schon 4000 Euro zahlen. Den nun erneut freigesprochenen Holländer wollte der Staatsanwalt zu 14.000 Euro verdonnern lassen – und nun denkt der Ankläger trotz erneutem Freispruch über eine Revision nach.

 

Gretchenfrage: Wolf oder Hund?

 

Durch den Freispruch musste sich das Potsdamer Landgericht immerhin nicht mit der Gretchenfrage „Wolf oder Hund?“ befassen. Anders in Schweden: Dort hat der Reichstag bald nach der „Heimkehr“ der ersten Wölfe den Nothilfe-Paragraphen so ergänzt, dass bereits ein unmittelbarer Angriff auf Haus- und Nutztiere den Abschuss auch streng geschützter Raubtiere rechtfertigt. Auf solche Klarstellung, die man sich auch vom jüngsten Potsdamer Verfahren erhoffte, warten der Deutsche Jagdverband (DJV) und seine Mitglieder weiter vergebens.

 

Wohl kein Wunder, dass sich so zum legalen Abschuss sogenannter Problemwölfe kaum Jäger finden lassen. So wie jetzt in Sachsen, wo der Görlitzer Landrat Stephan Meyer mögliche Schützen mit einem Schweigegelübde umwirbt: „Aufgrund der Sensibilität und zum Schutz handelnder Personen werden wir uns zunächst nicht weiter zum Sachverhalt äußern.“ Ein Positionspapier der Sachsen-CDU, das eine Bestandsregulierung ermöglichen soll, ist noch in Arbeit. Titel: „Der Wolf ist kein Kuscheltier“.

 

Identität der Erleger darf die Regierung geheim halten

 

In Niedersachsen mussten Abgeordnete der Grünen die von der SPD geführte Landesregierung erst per Gerichtsbeschluss zwingen, über Wolfsentnahmen überhaupt Auskünfte zu geben. Die Identität der Erleger darf die Regierung aber weiter geheim halten, um die Betroffenen zu schützen – und den Abschuss überhaupt zu ermöglichen, weil sonst Scharen von Jagdgegnern durch Wald und Flur spazieren, um Abschüsse zu verhindern.

 

Wie die SPD in Niedersachsen hat auch Schleswig-Holsteins schwarz-grüne Regierungskoalition verhältnismäßig früh damit begonnen, wenigstens die rechtlichen Möglichkeiten zum Abschuss verhaltensauffälliger Wölfe zu nutzen. Durchaus auch eine Art Mutprobe für den bisher amtierenden Agrar- und Umweltminister Jan Philipp Albrecht von den Grünen.

 

So wie die Friesen ihre Deiche haben, die sich ohne Weideschafe kaum erhalten lassen, verweisen Bayern und (etwas leiser) auch das benachbarte Baden-Württemberg auf die Wolfsprobleme für die (Alm-)Weidewirtschaft. Die CSU-Landwirtschaftsministerin fordert immer wieder mal wolfsfreie Zonen für das Milchvieh (wie sie in Schweden mit Duldung durch die EU großflächig für die Rentier-Weide gelten), scheitert aber bisher regelmäßig schon an den Mehrheiten im Bundesrat.

 

Bayern ist spät dran

 

Erstaunlich: Im Gegensatz zu so manchen Vorurteilen in der Öko-Szene ist Bayern bei der legalen Wolfsjagd eher spät dran: Erst im Januar 2022 wurde dort im Chiemgau landesweit erstmals ein Wolf zum Abschuss freigegeben. Was auch an der bisher geringen Populationsdichte von offiziell 26 bayerischen Wölfen liegen mag. Oder an einer dort besonders kampfbereiten Tierrechtsszene, die bewirkte, dass die Namen der Erleger von „Problembär Bruno“ bis heute Staatsgeheimnis bleiben.

 

Baden-Württemberg begegnet dem Hass-Risiko für staatlich beauftragte Wolfsjäger durch länderübergreifendes Vorhalten eines „Entnahmeteams aus fachkundigen Spezialistinnen und Spezialisten, die gemeinsam mit Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland rekrutiert wurden zum „Schutz von Weidetieren bei vermehrten Übergriffen in einer Region. Ob das die Schützen im Konfliktfall vor Gewalt und Klagen aus der Pro-Wolf-Szene schützt, ist bisher offen. Offiziell gibt’s nur drei Wölfe im Ländle, in der Pfalz laut amtlicher Zählung neben einem Rudel im Westerwald allenfalls Einzeltiere, im Saarland gar keine.

 

Bundesamt nennt am liebsten nur die Zahl der bestätigten Rudel

 

Auch die Menge der mittlerweile heimischen Wölfe ist so leicht nicht zu ermitteln. Das Bundesamt für Umwelt nennt am liebsten nur die Zahl der bestätigten Rudel und Wolfspaare. Wie viele Wölfe so ein Rudel zählt, scheint hingegen Auslegungssache. So kommt es, dass die Zahlen der Behörde regelmäßig weit unter den Schätzungen aus Landwirtschaft und Jagdverband liegen.

 

So meldet die Deutsche Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf (DBBW) zum Ende der Monitoring-Jahre 2021/2022 161 Rudel, 43 Paare und 21 Einzeltiere. Bei einer durchschnittlichen Rudelgröße von acht Tieren macht das rund 1400 Wölfe, bei durchschnittlich 10 Tieren (so rechnen zum Beispiel die Schweden) wären es schon gut 1700. Der Deutsche Bauernverband geht davon aus, dass es spätestens in diesem Jahr über 2500 Wölfe sein werden – Verkehrsunfallopfer und (illegale) Abschüsse schon abgezogen.

 

Zahlenspiele und Schutzstatus

 

Die Zahlenspiele sind nicht nur für das Risiko der Weidetiere von Bedeutung, sondern auch für den Schutzstatus der Wölfe. Noch im vergangenen Jahrzehnt galten 1.000 erwachsene Wölfe als Wunsch(traum)-Größe für einen stabilen, lebensfähigen Bestand in Deutschland. Nun, nachdem dieser Status unstrittig erreicht ist, sollen neue Ziele gelten: Genug Wölfe gibt es in solcher Lesart erst dann in Deutschland, wenn überall dort, wo sich ein geeigneter Lebensraum für Wölfe findet, auch ausreichend viele Wölfe leben.

 

So kommt es, dass das Bundesumweltministerium weiterhin von einem ungünstigen Erhaltungszustand ausgeht und selbigen an die EU-Kommission meldet. Was wiederum dazu führt, dass zwar die Wolfsdichte in Brandenburg und Sachsen doppelt so hoch ist wie jene in Kanada. Aber dennoch der nach EU strengstmögliche Artenschutz gilt. Und dazu, dass Schweden unbehelligt von der EU seinen um ein Vielfaches geringeren Wolfsbestand durch reguläre Lizenzjagd in Grenzen hält.

 


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