Brüsseler Signale an die europäischen Landwirte

Strenge EU-Vorgaben haben für Entfremdung der ländlichen Wähler gesorgt. Knapp ein Jahr vor der Europawahl bemüht sich Ursula von der Leyen um eine Kursbegradigung

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin (Foto: Etienne Ansotte/Europäische Union 2021)
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin (Foto: Etienne Ansotte/Europäische Union 2021)

 

Von Ludwig Hintjens

 

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer bald vierjährigen Amtszeit viele Entscheidungen zu verantworten, die nicht gerade die Sympathien für die EU im ländlichen Raum gemehrt haben. Viel mehr wurden etliche Gesetzesvorschläge aus der Kommission von den Menschen auf dem Land und von den Bauern als Angriff auf ihren Lebensstandard und ihre gewohnte Art zu leben verstanden. Dass der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen zurückgehen muss und dafür Maßnahmen notwendig sind, wird akzeptiert. Auf Unverständnis stößt, wenn im Zuge des ausgerufenen „Green Deal“ auch noch dem Forderungskatalog von NGOs und Umweltverbänden beim Arten- und Naturschutz, der Luftreinhaltung und der Umstellung auf Bio-Lebensmittel Rechnung getragen wurde. 

 

Durchaus zur Frustration ihrer Parteifreunde aus den christdemokratischen Parteienfamilien hat von der Leyen auch in ihrer jährlichen Rede im Parlament zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) seit 2020 sehr sparsam das Wort an Landwirte und Menschen im ländlichen Raum gerichtet. Doch jetzt gibt es Anzeichen, dass sich die Haltung der Kommissionspräsidentin mit langer CDU-Karriere im Hinblick auf die Landwirtschaft ändern könnte. Möglich, dass die Politikerin aus Niedersachsen dabei an die bevorstehenden Europawahlen denkt, bei der sie vermutlich Spitzenkandidatin der Christdemokraten werden will und dann auf die Zustimmung auch und gerade der Wähler auf dem Land angewiesen wäre. Die EVP, die christdemokratische Parteienfamilie auf EU-Ebene, deren Präsidium sie qua Amt angehört, versteht sich als die Bauern-Partei Europas. Möglich auch, dass der Abgang ihres Stellvertreters Frans Timmermans, zuständig für den „Green Deal“ und sehr ideologisch unterwegs, ihr jetzt Freiheiten gibt. 

 

Der erste Schritt zur Veränderung beim Thema Wolf

 

Die Kommission hat jedenfalls am Montag ein klares Signal an die Landwirtschaft gesendet. Sie hat die laufende Konsultation zum Wolf erweitert. Bis zum 22. September sind Kommunen, Wissenschaftler und Betroffene nun aufgerufen, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen mit Übergriffen des Wolfs auf Nutztiere der Kommission zu melden. Zum besseren Verständnis: Konsultationen sind immer der erste Schritt, bevor die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag macht. 

 

Beim Wolf, und auch das ist ein Signal an die europäische Landwirtschaft, kündigt die Kommission bereits weitere Maßnahmen an. Maßnahmen, die den Behörden „Entnahmen“ erlauben werden, trotz des strengen Schutzniveaus, dem der Beutegreifer Wolf unterliegt. Schon heute können die Behörden Wolfsabschüsse veranlassen, wenn einzelne Wölfe Schutzzäune überwinden und Weidetiere reißen. Vermutlich wird die Kommission ihren Vorschlag zeitnah vorlegen. Dass die Kommission jetzt noch einen Gesetzestext in die Pipeline von Parlament und Rat gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Spätestens im April, wenn der Europawahlkampf in die heiße Phase geht, läuft der Betrieb bei den Co-Gesetzgebern aus. 

 

Deutschland hat keine Daten zu Wolfsschäden geliefert

 

Die erweiterte Konsultation der Kommission zum Wolf wirft zugleich ein Schlaglicht auf die Politik der Bundesregierung. Bereits zu Beginn des Jahres hatte die EU-Kommission die aktuellen Daten zu Rissen von Nutztieren durch Wölfe bei den Mitgliedstaaten angefragt. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten hat Deutschland bislang nichts in der Sache an Brüssel zugeliefert. Erst am Montag, als die Kommission die Konsultation erweitert hat, hat sich Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) über die Presse zu Wort gemeldet. 

 

Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland in den letzten 20 Jahren der Bestand des Wolfes auf rund 1500 Tiere angewachsen ist. Damit einhergehen Übergriffe, die bei Nutztierhaltern zu großer Verunsicherung führen. Die Grünen zehren überwiegend von Wählerstimmen eines städtischen Publikums, die teils aus esoterischen Gründen den strengen Schutz des Wolfes hochhalten. Sollte es nun zu einer Kursbegradigung der Ökopartei beim Wolf kommen, wird dies ein erheblicher Teil der Basis mit Unmut quittieren.

 


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