E-Autos: Gibt es zu wenig oder sogar zu viel Ladesäulen?

Über den Ausbau der Ladepunkte wird diskutiert – und die Lobbyisten der Stromwirtschaft gelangen zu anderen Erkenntnissen als die Autoindustrie

Ladestation für Elektroautos (Foto: Georg Sander / pixelio.de)
Ladestation für Elektroautos (Foto: Georg Sander / pixelio.de)

 

Von Christian Urlage

 

Soll man sich ein Elektroauto anschaffen? Ein gängiges Argument dagegen lautete bisher, dass es an Möglichkeiten fehlt, das Fahrzeug an öffentlichen Ladepunkten wieder aufzuladen. Entsprechend hatten sich zahlreiche Autofahrer in Umfragen geäußert. Daher überrascht die Aussage, die kürzlich die ehemalige Grünen-Politikerin Kirsten Andreae als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gemacht hat: In Deutschland gebe es sogar ein Überangebot an Ladesäulen. Überraschend ist diese Aussage auch deshalb, weil es noch nicht lange her ist, dass der Verband der Automobilindustrie (VDA) vor einem zu langsamen Ausbau der Ladeinfrastruktur gewarnt hatte. „Deutschlands Nachholbedarf ist groß“, betonte VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

 

Fest steht: Die Elektromobilität erlebt einen Boom. 1,17 Millionen batterieelektrische Autos sind derzeit in Deutschland registriert (Plug-in-Hybride nicht einberechnet) – Tendenz steigend. Für diese Fahrzeuge stehen aktuell (Stand 1. Juli) mehr als 100.000 Ladepunkte zur Verfügung, wie der BDEW in seinem „Elektromobilitätsmonitor“ feststellt. Der Branchenverband argumentiert, mit dieser Zahl und einer installierten Leistung von insgesamt 4,5 Gigawatt liege Deutschland klar oberhalb der EU-Vorgaben. Je nach Landkreis ergibt sich eine Belegung zwischen drei und höchstens 25 Prozent pro Tag – und selbst zwischen 9 und 20 Uhr liegt der Wert nie über 20 Prozent. Allerdings ist dort nichts über die räumliche Verteilung des Angebots zu erfahren.

 

Ziel der Ampel-Koalition: eine Million Ladepunkte

 

Klar ist: Langfristig gesehen wird es immer mehr E-Auto-Besitzer geben, die keine eigene Ladestation zu Hause haben und damit das öffentliche Angebot intensiv nutzen werden. Hinzu kommen elektrisch betriebene Lastwagen und Busse, die höhere Ladeströme und größere Stellplätze benötigen. Tendenziell ist die Belegung nach BDEW-Angaben in größeren Städten überdurchschnittlich hoch, in Landkreisen in den neuen Bundesländern jedoch eher unterdurchschnittlich, was nicht erstaunt. „Der Bedarf an öffentlichen Ladesäulen ist regional sehr unterschiedlich“, stellt der Lobbyverband der deutschen Strom- und Energiebranche weiter fest und behauptet: „Ein passgenaues Ladeangebot braucht die Kreativität des Marktes.“

 

Dem ist nur zuzustimmen. Und dabei kommt es nicht allein auf die Zahl der Ladepunkte an, sondern auf deren Leistungsfähigkeit. Je schneller das Aufladen funktioniert, um so weniger Ladepunkte werden gebraucht. In seinem Koalitionsvertrag von 2021 hatte das Ampel-Bündnis noch das Ziel von einer Million Ladepunkte bis 2030 vorgegeben. Doch das wird wohl nicht geschafft, und Fachleute beim BDEW halten diese Zahl überdies für zu hoch und für technisch veraltet angesichts der Fortschritte bei der Ladeleistung. Zumal fraglich ist, ob sich diese Säulen tatsächlich wirtschaftlich rechnen. Besser ist es daher, die Ladestationen bei der Arbeit und zu Hause zu fördern.

 

Bundesregierung tritt auf die Bremse

 

Das Ziel von einer Million Ladepunkten hing auch zusammen mit einem weiteren ehrgeizigen Ziel im Koalitionsvertrag: Mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw peilten SPD, Grüne und FDP bis 2030 an – und das Verhältnis Ladepunkt zu E-Auto sollte 1:15 betragen. Doch 15 Millionen Autos sind ein utopisches Ziel, das in den verbleibenden sieben Jahren wohl nicht erreicht werden wird. Ein Grund ist, dass E-Autos nur dann akzeptiert werden, wenn es genügend und ausreichend Lademöglichkeiten gibt: an Tankstellen, an Straßen, an der Autobahnraststätte oder in der Tiefgarage. Und hier haben Autofahrer ebenso Zweifel wie die Automobilhersteller, die – wie Mercedes, Audi oder Porsche – eigene Ladenetze aufbauen.

 

Ein weiterer wichtiger Grund für das voraussichtliche Reißen der 15-Millionen-E-Auto-Zielmarke ist, dass die Bundesregierung auf die Bremse tritt: Seit Anfang September können nur noch Privatleute eine staatliche Förderung für den Kauf eines Elektroautos beantragen – dieser Umweltbonus gilt nicht mehr bei gewerblich genutzten Pkw. Aber vor allem Dienstwagen und andere Firmenfahrzeuge, die von Handwerk und vom Mittelstand genutzt werden, können erheblich zum Umstieg auf die Elektromobilität beitragen. Zumal die gebrauchten Fahrzeuge anschließend zu günstigeren Preisen auf den Markt kommen.

 


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