Naturschützer im urbanen Denken verhaftet

Der Streit über den geplanten Aus- oder Neubau einer Bahnstrecke zeigt beispielhaft, wie weit manche Lebenswelten im grünen Milieu bereits auseinanderliegen

Foto: dmncwndrlch
Foto: dmncwndrlch

 

Von Jürgen Wermser

 

Grün ist nicht gleich grün. Zumindest dann nicht, wenn es um Themen geht, die Klima- und Naturschutz gleichermaßen betreffen. Diese beiden vor allem im Öko- und Umweltmilieu alles überragenden Ziele können im Einzelfall heftig miteinander in Konflikt geraten. Beispiel hierfür ist die jüngste Zuspitzung im Streit um einen geplanten Neu- oder Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover. Im Brennpunkt dabei eine Gruppe, die dank der Schwedin Greta Thunberg weltweit zu einem Liebling der Medien geworden ist: Fridays for Future. 

 

In der Auseinandersetzung zeigt sich beispielhaft, wie stark Wahrnehmung und Befindlichkeiten zwischen Stadt und Land auseinander fallen können. Fridays for Future, kurz FFF, hat sich in der Diskussion um das Bahnprojekt als eine zutiefst im urbanen Denken verhaftete Organisation gezeigt. Ausgangspunkt der aktuellen Kontroverse, über die die Lokalpresse ausführlich berichtete, ist der Versuch von FFF, eine Podiumsdiskussion mit dem Wahlkreis-Abgeordneten der betroffenen Region, Lars Klingbeil, zu organisieren.

 

Es zählt mehr die Show als die Sache

 

Keine Frage, eine solche Veranstaltung mit dem SPD-Bundesvorsitzenden wäre eine für die Thunberg-Bewegung spektakuläre Chance, sich in der bundesweiten Öffentlichkeit weiter als konsequente Verfechterin für Klimaschutz und Verkehrswende zu profilieren. Doch den Aktivisten scheint es in erster Linie um Show und nicht um die Sache zu gehen. Denn einer inhaltlichen Debatte mit lokalen Umweltgruppen und Bahnkritikern sind sie systematisch und auf geradezu peinliche Weise aus dem Weg gegangen. Sämtliche Kontaktversuche liefen mehr oder minder ins Leere.

 

Ein lokaler Naturschützer, ehemals Greenpeace-Aktivist und langjähriger Unterstützer FFF, wählte deshalb einen ungewöhnlichen Weg: Er mischte sich bei einer FFF-Demo in Lüneburg unter die Teilnehmer und verbreitete ein Flugblatt, in dem die schweren Eingriffe in Natur und Umwelt durch einen kompletten Streckenneubau kritisiert wurden und in dem zugleich zu einem Dialog aufgefordert wurde.

 

Die Antwort auf das Flugblatt hatte es weniger inhaltlich als formal in sich und sorgte für Empörung unter den Natur- und Umweltschützern. Denn das Schreiben war nicht wie erwartet von einem Aktivisten oder einer Aktivistin von FFF, sondern von einem pensionierten Verkehrsplaner der Bahn verfasst worden war. Der Sprecher einer lokalen Bürgerinitiative sprach daraufhin von einem Klüngel zwischen Bahn und Fridays for Future. Die Klima-Aktivisten säßen in einer Blase. Sie kämen alle aus dem städtischen Umfeld, und für die Perspektive von Menschen, die im ländlichen Raum entlang der geplanten Neubau-Streckenvariante lebten, würde sich bei ihnen niemand interessieren. 

 

Geht es vor allem ums Geld?

 

Ein grüner Lokalpolitiker und Soltauer Ratsherr hadert derweil mit Teilen seiner Partei, die sich für den Neubau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover ausgesprochen haben. Er sieht harte innerparteiliche Auseinandersetzungen aufziehen. Insbesondere ärgert ihn, dass mithilfe von FFF der Eindruck entstehe, dass es der Bahn bei der Entscheidung zwischen Ausbau der bestehenden Strecke und einem Neubau vor allem um Klimaschutz gehe. In Wahrheit würden in der Kosten-Nutzen-Analyse ganz überwiegend monetäre Aspekte zählen. Das führe dazu, dass man Bodenpreise für Forstflächen in der Heide in den Vergleich zu Parzellen an der Bahnstrecke in Lüneburg stelle, die auf dem Grundstücksmarkt hundertfach mehr Geld kosten würden.

 

Wie immer dieser aktuelle Streit zwischen Natur- und Umweltschützern einerseits sowie Klima-Aktivisten andererseits ausgehen wird: Er zeigt beispielhaft, wie weit sich politisch relevante städtische Milieus von der Natur und Lebenswirklichkeit im ländlichen Raum entfernt haben. Schlimmer noch, wie gleichgültig ihnen die dortigen Zustände und Befindlichkeiten im Grunde sind. Umso wichtiger, dass Naturnutzer und Bewohner der ländlichen Räume ihre Ziele und Interessen stärker öffentlich zur Geltung bringen. 

 


Lesen Sie auch:

Die Bahn verpasst den Zug der Zeit: Wie der Staatskonzern im Geschwindigkeitsrausch nicht nur im ländlichen Raum immer mehr Kunden abhängt

 

Hier können Sie sich für unseren wöchentlich erscheinenden Newsletter anmelden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.