Die Bahn verpasst den Zug der Zeit

Wie der Staatskonzern im Geschwindigkeitsrausch nicht nur im ländlichen Raum immer mehr Kunden abhängt

Foto : E. Kopp / pixelio.de
Foto : E. Kopp / pixelio.de

 

Von Michael Lehner

 

Nicht nur bei Elektroautos ist die Tempo-Sucht eine Wurzel aller Übel. Auch die Bahn droht am Versuch zu scheitern, dem Flugzeug Konkurrenz zu machen. Statt ihrer Aufgabe nachzukommen, den Menschen flächendeckend umweltverträgliche und bezahlbare Mobilität zu sichern. Seit Kriegsende hat das Unternehmen 15.000 Streckenkilometer stillgelegt. Das ist fast die Hälfte der Gleise, auf denen heute noch Züge fahren.

 

Die Folgen trägt zum Löwenanteil der ländliche Raum. Nicht nur, weil Pendler aufs Auto angewiesen sind, das immer teurer wird. Sondern auch deshalb, weil Fernreisende immer weitere Strecken zum nächsten Bahnhof bewältigen müssen.

 

Wenn der Zug denn pünktlich ist, kommt der Kunde zwar schneller von München nach Hamburg oder von Stuttgart nach Berlin. Aber für die Leute, die nicht in Ballungsräumen wohnen, geht der Fahrzeit-Gewinn sehr oft für die immer mühsamere Anreise zum nächsten ICE-Halt drauf.

 

SPD-Chef Lars Klingbeil bekommt den Widersinn aktuell schmerzhaft zu spüren. Er wird gescholten, weil er sich gegen Pläne für eine neue Trasse wehrt, die den Zug zwischen Hannover und Hamburg schneller machen soll. Aber Städte wie Lüneburg, Uelzen und Celle aus dem Fernbahnnetz kegelt. Was fatal an die ICE-Verbindung zwischen Würzburg und München erinnert. Zusteigen ist seit dem Neubau nur noch in Nürnberg und Ingolstadt möglich.

 

Belastbare Berechnungen, wie viel vermeidbaren Autoverkehr die Tempo-Orientierung erzeugt, gibt es nicht. Zumal niemand sagen kann, wie viele potenzielle Bahnkunden auch weitere Strecken lieber gleich ganz mit dem Auto zurücklegen, wenn sie ohnehin schon lange Wege bis zum Zug fahren müssen. Von Parkplatzsuche und Parkgebühren an den Metropol-Bahnhöfen ganz zu schweigen.

 

Geschwindigkeitsrausch wird zur Posse

 

Endgültig zur Posse wird der Geschwindigkeitsrausch beim Blick auf eines der wichtigsten europäischen Umweltprojekte: Unlängst kam auf, dass die Planung für die bayerische Zulauf-Strecke zum Brenner-Tunnel auch deshalb nicht voran kommt, weil die neue Trasse für Zug-Geschwindigkeiten bis zu 230 Stundenkilometer taugen soll. Wenn´s hoch kommt, geht es um Fahrzeitgewinne von einer guten halben Stunde zwischen München und dem Grenzbahnhof in Kiefersfelden.

 

So geht die Bahn-Politik das Risiko ein, dass Österreich und Italien den Tunnel fertig gebaut haben, während in Deutschland noch um Streckenführungen gestritten wird. Und darum, welche Kleinstädte im Inntal ihren Anschluss ans Fernbahn-Netz verlieren, damit die urbane Intercity-Kundschaft schneller in den Süden reisen kann. Während umweltbewusste Spediteure längst überlegen, ihre Mittelmeer-Transporte besser über die Bahnverladung auf der schweizerischen NEAT-Alpentransversale abzuwickeln.

 

Ticketpreise: Bahn ist dem Flugzeug oft unterlegen

 

Zu allem Überfluss hat nun ausgerechnet Greenpeace vorgerechnet, dass die Bahn auch bei den Ticketpreisen für europäische Fernverbindungen dem Flugzeug meistens deutlich unterlegen ist. Zudem wird das Deutschlandticket zu 49 Euro eine Rückkehr zu konkurrenzfähigen (Familien-)Fahrpreisen sicher nicht erleichtern. Und den Ruf nach weiteren Steuer-Milliarden noch lauter werden lassen.

 

Ob mehr Steuergeld den maroden Gleisen hilft, die unlängst bei Garmisch-Partenkirchen sogar Todesopfer kosteten, ist eine ganz andere Frage. Schließlich gilt es ja auch noch Milliardenlöcher bei Prestige-Objekten wie dem Alptraum-Bahnhof „Stuttgart 21“ zu stopfen. Auch der zeigt eindrucksvoll, dass die Provinz das Auto wohl noch sehr lange brauchen wird. Weil ihnen die Bahn davongefahren ist.

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Quasimodo (Freitag, 28 Juli 2023 12:09)

    Schrecklich, wie hier mit Falschaussagen gegen die Bahn gehetzt wird. "Aber Städte wie Lüneburg, Uelzen und Celle aus dem Fernbahnnetz kegelt." Spätestens da wird der Artikel zu übeler Propaganda.

  • #2

    Uwuseela (Freitag, 28 Juli 2023 13:58)

    Was ist denn da „üble Propaganda“? Es geht um vernünftige Verkehrsstrukturpolitik flächendeckend!

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