Spart der Bund an den falschen Stellen?

Die von der Ampel geplante Mittelkürzung wird auch die Kreise und Kommunen treffen, von denen heute schon viele kaum noch über die Runden kommen

Foto: Claudia Hautumm / pixelio.de
Foto: Claudia Hautumm / pixelio.de

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Was haben Bonn, Berlin-Mitte, Halle an der Saale und Dresden aktuell gemeinsam? Sie stecken finanziell dermaßen in der Klemme, dass bereits die Reißleine gezogen wurde. Auch in Lübbecke in Ostwestfalen, Gerstungen in Thüringen, im Landkreis Weilheim-Schongau in Oberbayern, in Albstadt in Baden-Württemberg und zahlreichen weiteren Kommunen und Kreise gilt zurzeit schon eine Haushaltssperre, sprich: Die Ausgaben werden auf das Notwendigste zurückgefahren, Projekte in die Zeit gesetzt und viele Pläne mit Fragezeichen versehen. Zwischenzeitlich hat sogar das Bundesland Schleswig-Holstein die Vollbremsung vollzogen.

 

Schon macht das Wort von einer Finanzkrise die Runde, denn in den Kämmereien können für den Haushalt 2024 nicht mehr jene Sonderinstrumente genutzt werden, die wegen der Corona-Pandemie und den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zum Werkzeugkasten gehörten. Jetzt schlagen der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, geringere oder stagnierende Gewerbesteuereinnahmen, Inflation, Preis- und Zinssteigerungen, aber auch die Sparmaßnahmen der Länder und des Bundes voll durch. Wohlfühl-Haushalte gehören der Vergangenheit an. Die erste Aufgabe lautet in vielen Rathäusern, ein ausgeglichenes Zahlenwerk zu erstellen, das nicht schnurstracks von den Aufsichtsbehörden einkassiert wird und in die Haushaltssicherung führt. 

 

In dieser Situation wird vom Bund weniger zu erwarten sein. Die Ampel-Regierung hat im Entwurf 2024 auf über 1300 Seiten zusammengestellt, wer von den 445 Milliarden Euro im Haushalt wie viel erhalten soll. Die Neuverschuldung wird nächstes Jahr auf 16,6 Milliarden Euro begrenzt und damit die Schuldenbremse wieder eingehalten. Kritik zum Etatentwurf gibt es inzwischen von vielen Seiten.

 

Verärgerung im ländlichen Raum

 

Im ländlichen Raum ist man verärgert, dass im Etat des Agrarressorts die Kürzung um sechs Prozent (6,83 statt 7,25 Mrd. Euro) vor allem zulasten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) gehen soll. Darin stecken zum Beispiel Sonderrahmenpläne wie „Förderung der Ländlichen Entwicklung“ und „Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels“. Warum Cem Özdemir als zuständiger Minister ausgerechnet dort den Rotstift ansetzen will, wird er in den noch ausstehenden Beratungen erklären müssen. 

 

GAK-Mittel des Bundes haben den Effekt, dass auch die Bundesländer animiert werden, die Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft und die Vitalität der ländlichen Räume zu unterstützen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker empfahl seinem Koalitionskollegen Özdemir bereits öffentlich, lieber einige ideologiegetriebene grüne Vorzeigeprojekte einzustampfen, statt die GAK-Mittel anzutasten. 300 Millionen Euro weniger vom Bund sind in der Summe 420 Millionen Euro weniger Förderung in ländlichen Gebieten.

 

Und die Folgen des von Finanzminister Lindner (FDP) vorgelegten Haushaltsentwurfs 2024 schlagen auch an anderer Stelle bis ins Dorf durch. Hier nur einige Beispiele:  Während 2022 rund 750 Millionen Euro für die Rad-Infrastruktur in Deutschland vorgesehen waren und 2023 noch 560 Millionen Euro fließen, sollen es 2024 rund 400 Millionen Euro sein. Die Förderung für Radwege in den Ländern würde demnach im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert auf 260 Millionen Euro, kritisiert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). „Es ist beschämend, dass sich der Bund aus der Verantwortung stiehlt“, erklärte die Bundesvorsitzende Rebecca Peters.

 

Kürzungen bei politischer Bildung

 

Knapper gehalten werden sollen ebenso die vielen Träger, die sich im Land um politische Bildung und Demokratiearbeit kümmern. Die Ampelkoalition will der Bundeszentrale für politische Bildung rund 20 Millionen Euro weniger zukommen lassen. Der Etat würde mit einem Schlag um 21 Prozent gekürzt. Wilfried Klein, Vorsitzender des Bundesausschusses Politische Bildung, warnte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP vor diesem Schritt. Die Ampel habe in ihrem Koalitionsvertrag schließlich selbst festgestellt, dass die pluralistische, freiheitliche Demokratie unter Druck stehe.

 

Auch die Bahn soll deutlich weniger Geld bekommen, um das Schienennetz zu sanieren: 20 Milliarden Euro, nicht einmal die Hälfte der 45 Milliarden Euro, die ursprünglich angedacht waren. Kritiker sprechen von einem Rückschlag für die Verkehrswende.

 

Als „Wortbruch“ bezeichnet der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, dass der Bund im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes erneut den Rotstift ansetzt. Laut Herrmann sollen für das Technische Hilfswerk (THW) die Mittel um fast zehn Prozent sowie für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) um mehr als 20 Prozent gekürzt werden.

 

Auch der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) ist verärgert. Die geplanten Einsparungen im Kinder- und Jugendplan seien „existenzgefährdend für die Strukturen der politischen Kinder- und Jugendbildung“, heißt es. Und die Wohlfahrtsverbände befürchten, dass durch die Kürzungen jede vierte Stelle beim wichtigen Bundesfreiwilligendienst wegfallen könnte.

 


Lesen Sie auch:

Weniger Geld für den ländlichen Raum: Der Etat von Agrarminister Cem Özdemir soll kräftig gekürzt werden

 

Folgen Sie uns bei LinkedIn!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.