Bauern sorgen sich um Ernte – Klimaschützer protestieren gegen Klingbeil

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

 

wieder einmal ist das leidige Thema Wetter im ländlichen Raum in aller Munde. Nicht nur, dass sich Urlaubsregionen zwischen Nordsee und Alpen um Touristen sorgen, deren Kinder nicht im Regen draußen spielen wollen, sondern anderweitig beschäftigt werden möchten. Auch bei den Landwirten macht sich Unruhe breit. Es herrschen gemischte Gefühle. „Regen ist noch mehr Segen als Fluch“, lautete in dieser Woche eine Schlagzeile meiner Heimatzeitung im Heidekreis. Das Wetter sei für Mais und Rüben gut, doch schlecht für das Getreide, wird der örtliche Landvolk-Präsident zitiert. Im Juni hatte sich seine Organisation noch über die anhaltende Trockenheit besorgt gezeigt. Jetzt heißt es, der unaufhörliche Regen würde die Landwirtschaft stressen. Das Getreide habe bereits einen schwarzen Schimmer, ein Indiz für Schimmelbildung. Sollte es noch weiter so regnen, steht es nach Ansicht des Landvolks unter Umständen nicht nur für die Feldfrüchte selbst schlecht. Auch die Befahrbarkeit der Felder werde dann zum Thema, Stichwort Gefahr von Morastbildung.
 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

Und wie eine solche Morastbildung aussehen kann, zeigen aktuell die Fernsehbilder vom Heavy-Metal-Festival im schleswig-holsteinischen Wacken. Dort stampfen Musikfreunde durch wahre Schlammwüsten, wälzen sich darin, trinken reichlich Bier dabei und haben sichtlich ihren Spaß – ein für Außenstehende etwas befremdliches Vergnügen. Sei’s drum. Die Folgen von alledem sind vergleichsweise harmlos im Vergleich zu den möglichen Schäden, die das Wetter bei den deutschen Bauern verursachen kann. 

 

Der ländliche Raum bekommt in diesen Wochen hautnah zu spüren, worauf Experten schon lange hinweisen: Phasen starker Trockenheit wechseln sich ab mit Phasen heftigen Regens. Der früher übliche sanftere, „normalere“ Wechsel von Sonne und Regen wird seltener. Keine Frage, es muss etwas gegen den immer heftiger werdenden Klimawandel getan werden. Damit eröffnen sich allerdings neue Konfliktfelder, auch zwischen städtischen Regionen und dem ländlichen Raum. Ein Paradebeispiel dafür ist die Diskussion um den möglichen Neubau einer Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover. In unserem Blog sind wir darauf bereits eingegangen. Gestern nun hat der Konflikt eine neue, besonders plakative Zuspitzung erfahren. Aktivisten und Sympathisanten von Fridays for Future hatten zu einer Demonstration in der Hamburger Innenstadt gegen die Haltung des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil aufgerufen. Die alternative Tageszeitung taz nannte dies in einer Überschrift: „Schwarzer Tag für SPD-General“. Klingbeil steht, ebenso wie die Mehrheit im Heidekreis und auch der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen, einem Neubau der Bahnstrecke quer durch Gewerbe- und Naturschutzgebiete sehr kritisch gegenüber. Stattdessen befürwortet Klingbeil die Modernisierung und den Ausbau der bestehenden Trasse, was bei der Bahn und im Verkehrsministerium des Bundes offenkundig auf wenig Gegenliebe stößt. 

 

Lösung auf Kosten des ländlichen Raums

 

Eine solche „kleinere“ Lösung hätte zusätzliche Haltepunkte zur Folge. Dadurch würde zwar die Fahrtdauer zwischen den Großstädten um einige Minuten länger, aber der ländliche Raum wäre verkehrstechnisch nicht komplett außen vor. Bei einem Neubau einer Schnellstrecke würden die Züge dagegen von der Großstadt Hamburg in die Großstadt Hannover ohne Halt durchrauschen. Der Zeitgewinn für Fahrten zwischen den Metropolen würde mit dem Verlust wertvoller Natur- und Erholungsräume und mit dem Abkoppeln von kleineren Ortschaften bezahlt. Ist es das wirklich wert? Die Demonstranten von Fridays for Future, die sich zumeist dem grünen Milieu verbunden fühlen, sagen ja. Sie wollen die Bahn attraktiver machen, aber offenkundig wohl vor allem für Großstädter, denn für Landbewohner hätte diese Regelung nur Nachteile. Sie müssten die ökologischen Belastungen ertragen, ohne ökonomische Vorteile davon zu haben. 

 

Dass sich die Proteste jetzt gegen den Vorsitzenden der größten Koalitionspartei SPD persönlich richten, macht die Sache besonders pikant. Denn auch Sozialdemokraten verstehen sich gerne als engagierte Klima- und Umweltschützer. Insofern sind die Proteste fast wie ein Familienstreit – sicherlich sehr zur Freude der Opposition. Denn auch die Grünen stehen bei Umweltverbänden nicht mehr hoch im Kurs. Man denke nur an deren harte Kritik, als sich die Ampel-Regierung von den Sektorzielen verabschiedet hat: Die einzelnen Ministerien müssen künftig nicht mehr nachbessern, wenn erkennbar ist, dass ihre Sektoren vom Klimapfad abweichen. Das Einsparziel wird jetzt auf alle Bereiche gemeinsam angerechnet, was nach Ansicht von Klimaschützern zu einer Verwässerung führt. Oder man denke an den Streit um das LNG-Terminal bei Rügen, welches Minister Habeck für unverzichtbar hält, um die Energieversorgung mittels Flüssiggas abzusichern. Auch gegen dieses Projekt laufen Natur- und Umweltschützer Sturm. 

 

Flaute beim Neubau von Wohnungen

 

In der Wohnungsbau- und Wirtschaftspolitik spürt die Ampelkoalition momentan ebenfalls kräftig Gegenwind. Jüngste Zahlen zum sozialen Wohnungsbau sind alarmierend. In den 1980er Jahren hat es in der alten Bundesrepublik fast vier Millionen Sozialwohnungen gegeben, 2010 waren es in ganz Deutschland noch 1,66 Millionen. Aktuell sind es lediglich 1,1 Millionen. Denn Sozialwohnungen fallen nach einer bestimmten Zeit aus der Sozialbindung, das heißt, sie können dann ohne staatliche Auflagen zu höheren Preisen vermietet werden. Die Zahl der neu geschaffenen Sozialwohnungen betrug im vergangenen Jahr lediglich rund 22.000 und war damit deutlich niedriger als 100.000, die sich die Bundesregierung als Zielmarke gesetzt hatte. Zugleich ist momentan die Zahl der Wohnungen, die aus der Sozialbindung herausfallen, deutlich größer als die der neu entstandenen Sozialwohnungen. Insofern nimmt die Gesamtzahl unterm Strich ab.

 

Gewiss, diese Misere hat nicht die aktuelle Bundesregierung allein zu verantworten. Auch ihre Vorgängerinnen müssen sich hier Versäumnisse und falsche Weichenstellungen vorwerfen lassen. Doch ebenso klar ist: Der Ampelkoalition ist es nicht gelungen, das Ruder herumzureißen. Statt der versprochenen Offensive im Wohnungsbau herrscht gerade für sozial Schwächere eine Flaute beim Neubau. Das ist bitter und nicht gerade eine Empfehlung für die bisher erfolgten Maßnahmen und die dafür aktuell politisch Verantwortlichen. Deshalb will SPD-Bauministerin Klara Geywitz nun die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für neue Wohngebäude ausweiten – ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Doch er allein dürfte kaum ausreichen, um die gewünschte Wende am Wohnungsmarkt zu bewirken.

 

Europäer werden wirtschaftlich überholt

 

Bei alledem gilt: Was in den sozialen Bereich investiert wird, muss zuvor auch real erwirtschaftet werden. Und auch da sieht es in Deutschland momentan nicht allzu rosig aus. In anderen europäischen Ländern ist die Lage teilweise besser, aber auch dort scheint man sich der großen Herausforderung durch die internationale Konkurrenz aus Asien und den USA nicht ernsthaft genug zu stellen. So berichtete das „Handelsblatt“ in dieser Woche von bemerkenswerten Zahlen einer Brüsseler Denkfabrik. Danach lassen etwa die USA Europa immer mehr hinter sich. Wenn man die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten berücksichtigt, war die US-Wirtschaft 2008 um 15 Prozent größer als die europäische. Inzwischen beträgt der Unterschied 31 Prozent. Wenn die derzeitigen ökonomischen Trends anhalten würden, werde das Wohlstandsgefälle zwischen dem Durchschnittseuropäer und dem Durchschnittsamerikaner im Jahr 2035 genauso groß sein wie zwischen dem Durchschnittseuropäer und dem Durchschnittsinder heute – eine ebenso griffige wie leider beunruhigende Prognose. Wenn man dann noch das Wohlstandsgefälle in Deutschland zwischen einigen Metropolregionen und weiten Gebieten des ländlichen Raumes hinzuzieht, dann kann einem schon etwas bange werden.

 

Umso wichtiger, dass hier entschieden gegengesteuert wird. Denn klar ist: Ohne eine kräftige Wirtschaft wird auch der Sozialstaat nicht auf Dauer solide zu finanzieren sein. Also heißt es für die Regierung und alle Bürger, je nach ihren Fähigkeiten: Ärmel aufkrempeln und anpacken. Mit diesem Hinweis verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen für eine gute, positive Woche

Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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