Aber bitte mit Sahne!

Ein ausgeloster Bürgerrat soll über Fragen der Ernährung diskutieren und dem Parlament helfen, die Demokratie zu stärken

Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de
Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

 

Von Wolfgang Molitor

 

Also zog die Bundestagspräsidentin ein Los und lud 160 von 2200 Interessierten unter den 19.300 zufällig Angeschriebenen in 84 ebenfalls per Zufall bestimmten Gemeinden ein, sich von Ende September bis Ende Februar zum Frommen der Demokratie im Allgemeinen wie im Speziellen zusammenzufinden und über Ernährung zu diskutieren. An drei Wochenenden in Präsenz und in sechs digitalen Abendveranstaltungen. 

 

Warum nicht? Das kann man so machen, ohne fürchten zu müssen, auf große Beachtung und noch größere Empörung zu stoßen. Schließlich bleiben die dort präsentierten Handlungsempfehlungen weitestgehend und erklärtermaßen folgenlos, auch wenn sie in parlamentarische Beratungen einfließen sollen. Denn der Bundestag muss sie nicht berücksichtigen. So macht Demokratie dann richtig Spaß. Dem in Politikkreisen altbewährten Minimalkonsens folgend: Gut, dass wir drüber geredet haben.

 

Doch das Gremium, an dem nur etwa ein Zehntel der nach geografischer Herkunft, Geschlecht, Alter, Gemeindegröße und Bildungsstand Auserwählten Interesse gezeigt hat, läuft unter dem Titel „Bürgerrat“, was sowjethistorisch klingt wie Arbeiter- und Soldatenrat, also so, als ob da am Parlament vorbei Umstürzlerisches beschlossen werden solle. Was so falsch wie dumm ist und allenfalls zum Oppositionsstürmchen im halbvollen Wasserglas taugt.

 

Es geht in erster Linie um Demokratie. Schließlich steht im Koalitionsvertrag, die Ampel wolle „neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte“ nutzen, um damit ein Mittel zu finden, die Kluft zwischen Bevölkerung und Parlamentariern wieder etwas zu verkleinern. So könne man den Parlamentariern helfen, ihre durch Parteiprogramme und Fraktionsentscheidungen zuweilen festgefahrenen Positionen zu überdenken. So also stellt man sich im Raumschiff Berlin eine Demokratie stärkende Kraft vor. Und ja, das hat in der Theorie durchaus einen gewissen Charme, wenn man nur weit genug von den Bürgern entfernt ist. 

 

Wie viele Burger-Räte es gibt, ist nicht bekannt

 

Zu Beginn also: Let’s talk about food! Der Einstieg in die Bürgerräte-Basis hat den Titel „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ verpasst bekommen. Das klingt nach ganz großer Politik. Der Rat soll sich damit befassen, was „zu einer transparenten Kennzeichnung von sozialen Bedingungen, von Umwelt- und Klimaverträglichkeit und von Tierwohlstandards“ auf Lebensmitteln gehört, welche „steuerlichen Rahmen“ der Staat für die „Preisbildung von Lebensmitteln“ setzen sollte und wie Lebensmittelverschwendung vermieden werden kann. Nebenbei: Im Kreis der 160 Bürgerräte sitzen 2,5 Prozent Veganer und zehn Prozent Vegetarier. Wie viele Burger-Räte es gibt, ist nicht bekannt. 

 

Mal sehen, was diese 160 besser als die Politik machen würden. Zumindest anders. Oder was sie von ihrer Basis-Erfahrung einfließen lassen können, warum Supermärkte laut jüngster Greenpeace-Umfrage noch immer 86 Prozent Billigfleisch anbieten und damit offensichtlich preislich auf eine große Nachfrage bei den Konsumenten reagieren. Und mal sehen, wie groß am Ende die Erkenntnisse für so manchen Weit-Ab-Abgeordneten ist, um das Engagement der Los-Runde anzuerkennen und die Attraktivität der Demokratie zu stärken. Glaube ist erwünscht, Zweifel erlaubt.

 

Guter Rat ist teuer

 

An den finanziellen Mitteln jedenfalls wird das Projekt nicht scheitern. Guter Rat ist teuer, auch wenn jeder der 160 Teilnehmer nur 600 Euro Aufwandspauschale plus Übernahme der Hotelkosten bekommt. Denn die richtig große Knete landet wie gehabt bei einer Stabsstelle im Bundestag und einem externen Dienstleister. Schließlich sind im Haushalt 2023 dafür bis zu drei Millionen Euro vorgesehen. Wobei dann eher alles beim Alten bleibt. Wenn´s ums Geld geht, setzt die Ampel nicht auf eine kalorienarme Interessenspeisung, sondern wie gewohnt auf den Ruf „Aber bitte mit Sahne!“

 


Lesen Sie auch:

Die Kraft der Kultur oder Erziehung zur Demokratie? Der Bund will mit einem 70-Millionen-Euro-Programm die Beteiligung und Demokratie in ländlichen, vor allem strukturschwachen Gebieten fördern

 

Hier können Sie sich für unseren wöchentlich erscheinenden Newsletter anmelden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

natur+mensch – der Blog ist eine Initiative der Stiftung natur+mensch

Copyright © 2023 Stiftung natur+mensch - Havixbeck - Alle Rechte vorbehalten.