Die Kraft der Kultur oder Erziehung zur Demokratie?

Der Bund will mit einem 70-Millionen-Euro-Programm die Beteiligung und Demokratie in ländlichen, vor allem strukturschwachen Gebieten fördern

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (M.) mit der Kulturbeauftragten Claudia Roth und dem Leiter des Programmbüros Aller.Land, Samo Darian. (Foto: BKM/Florian Gärtner/Photothek)
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (M.) mit der Kulturbeauftragten Claudia Roth und dem Leiter des Programmbüros Aller.Land, Samo Darian. (Foto: BKM/Florian Gärtner/Photothek)

Von Wolfgang Molitor

Sie wollen ressortübergreifend „die Kraft der Kultur nutzen, um ländliche Regionen zu stärken“. Sie, das sind Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Drei nennen ihr Programm „Aller.Land – zusammen gestalten. Strukturen stärken.“ Ziel ist es, Kultur sowie die „Beteiligung und Demokratie in ländlichen, insbesondere strukturschwachen Regionen“ zu festigen. Nicht zu vergessen: Das Ganze wird bis 2030 mit 70 Millionen Euro unterstützt. Rund zehn Millionen Euro pro Jahr. Mit dabei ist obendrein ohne finanzielle Beteiligung das Bundesinnen- und heimatministerium. So weit, so gut.

Kultur findet da statt, wo Menschen zusammenkommen und gemeinsam ihre Zukunft in die Hand nehmen, anpacken, Verantwortung übernehmen und kreative Ideen für ihr unmittelbares Lebensumfeld entwickeln, sagt Roth. Das heißt für sie: Es werden keine kurzfristigen Kulturprojekte gefördert. Stattdessen setzt man „ganz bewusst auf den Aufbau nachhaltiger kultureller Beteiligungs- und Netzwerkstrukturen in ländlichen Räumen“. Das klingt nach sehr langem Atem und irgendwie etwas abgehoben. Was da bei den vielen Initiativen, Vereinen und Arbeitsgemeinschaften, die sich seit langem um die Kultur im ländlichen Raum verdient machen, am Ende konkret ankommt, scheint ungewiss.

Cem Özdemir formuliert es noch theoretischer. Die ländlichen Räume stünden für sich, weshalb es Politikansätze brauche, „die von den Menschen vor Ort ausgehen“. Dafür stellt sein Ministerium „den Wissenstransfer“ bereit. Mit klarer politischer Zielsetzung übrigens. Der Minister formuliert es so: „Teilhabe und Gemeinschaft vor Ort stärken heißt auch, Entfaltungsmöglichkeiten für unsere offene, demokratische und vielfältige Gesellschaft zu schaffen – und damit den demokratiefeindlichen, spalterischen Kräften den Nährboden zu entziehen.“

Auch Erziehung zur Demokratie?

Was die Frage stellen lässt: Ist da mehr an Förderung der Kultur oder an Erziehung zur Demokratie gedacht? Wobei man die Antwort schon kennt. Die lautet in der Regel: Beides bedingt einander. Was ja nicht falsch ist. Hier setzt das Programm an. Thomas Krüger jedenfalls will „mit Bildungsangeboten die Kompetenzen der an den Projekten beteiligten Menschen in den geförderten Regionen für Beteiligung und Mitgestaltung“ qualifizieren.

Und so sollen bis 2030 vor allem in strukturschwachen ländlichen Räumen langfristige und beteiligungsorientierte Kulturvorhaben entwickelt werden, um „vor Ort verankerte Allianzen zwischen Kultur- und Demokratiearbeit, Bildung und Regionalentwicklung entstehen zu lassen“. Wie das aussehen könnte? Etwa mit „Erzählcafes, Maker Spaces, Bürgerdialogen oder dem Aufbau so genannter Dritter Orte“. Wie das dann „vor Ort“ umgesetzt werden soll, welche Voraussetzungen nötig sind, welche politische Grundrichtung bevorzugt wird und welche ministerielle Kontrolle: In den strukturschwachen Regionen darf man gespannt sein, wie und ob das gut gemeinte Programm im ländlichen Alltag außer Spesen tatsächlich zu nachhaltiger Unterstützung für ein auflebendes kulturelles Zusammensein beitragen kann.


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