Von „Brandmauern“ und Herausforderungen: Politische Entwicklungen in Österreich und Deutschland

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

 

Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

heute beginne und ende ich nach meinen Niederlande-Beobachtungen vor einigen Wochen wieder einmal mit Rückschlüssen, Parallelitäten oder Unterschieden von anderswo zu unserer Politik zu Hause. Das mache ich mit derselben Bemerkung frei nach Goethe: „Reisen bildet“. Diesmal war ich bei unseren Nachbarn in Österreich. Zu meinem täglichen Urlaubsritual gehört die Lektüre lokaler Medien und der Boulevardzeitungen. Dabei fällt mir immer wieder die über Jahre latente Skandalberichterstattung auf. Wenn es einst um Haider, dann um Strache ging und jetzt um Kickl, fliegen in den Schlagzeilen jeweils die Fetzen. 
 

Jost Springensguth
Jost Springensguth

Wer Kickl nicht kennt, so sei bemerkt, dass das so jemand ist wie Höcke bei uns. Nur hat er schon den Vorsitz der FPÖ erklommen. Diese Partei ist, anders als bei uns die Schwester AfD auf Platz zwei, in den Umfragen ganz oben. Damit wird dort schon mit harten Zahlen der Demoskopie im Hintergrund die Kanzlerfrage für die „Freiheitlichen“ gestellt. Bei unseren Nachbarn geht es gleichsam ebenfalls um Schlagworte; analog zu uns mit dem Beispiel „Brandmauer“, wie sie Merz in unsere Debatte eingeführt hat. In Österreich ist diese Mauer schon eingerissen. Die FPÖ war schon in vier Bundesregierungen und ist derzeit an vier Landesregierungen beteiligt. Gleichwohl wehrt sich die mit der Union vergleichbare ÖVP gegen den besagten FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl. Für den ÖVP-Chef und Bundeskanzler Nehammer ist eine Koalition mit den Freiheitlichen unter Kickl ausgeschlossen. In dieser Debatte tauchte dann bei der ÖVP der Begriff „Normaldenkende“ auf, für die man Politik machen wolle. Das löste – wie bei uns – im Zusammenhang mit den Rechten wüste Debatten um ein Wort aus. Dazu erklärte der ÖVP-Chef noch: „Das Extreme ist der Feind des Normalen und vor allem eine Gefahr für die Menschheit.“ Jetzt wird in seiner bürgerlichen Partei ÖVP krampfhaft versucht zu erklären, was man damit meint. Man setze sich für jene ein, die „sich an die Regeln halten, zur Arbeit gehen und sich engagieren“. Darüber regen sich dort nahezu täglich viele Kommentatoren und Linksgrüne wie Rechte in den Medien auf. Mich erinnert das bei uns an das Zitat des neuen CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, der sein Amt mit dieser Aussage angetreten ist: „Es gibt in Deutschland eine leise, aber klare bürgerliche Mehrheit, die sich an Regeln hält, die morgens arbeiten geht und sich abends im Sport- oder Musikverein engagiert.“ Seine Partei wolle für diese Menschen da sein. Was daran so schlimm ist, kann ich nur schwer nachvollziehen. Irgendwie ist das alles vergleichbar.

 

Damit sind wir in unserem Sommerloch mit seiner Themenpalette angelangt.  Ausgangspunkt ist die Ratlosigkeit, wie man dort mit den „Blauen“ und bei uns mit der AfD (ebenfalls blau) am besten umgehen könnte. Das beginnt mit der Ursachensuche, warum die Wahlprognosen so ausfallen, wie sie nun einmal übereinstimmend sind. Die AfD liegt mit knapp über 20 Prozent noch ein Stück hinter der Union, aber schon vor der SPD und immer weiter vor den schwächelnden Grünen. Bei uns geben die einen Merz die Schuld. Und das mit dem genüsslichen Hinweis auf seine damalige Ankündigung, die Rechtspartei halbieren zu wollen, und darauf, dass er die CDU nicht einigen kann. Die anderen suchen die Ursachen in den Fehlleistungen unserer Ampelregierung und deren Parteien mit ihren teilweise belehrenden und strammen Ankündigungen, gepaart mit schlampiger Gesetzesarbeit. Das wird zum Beispiel am sogenannten Heizungsgesetz festgemacht, das noch lange nicht in trockenen Tüchern ist. Wer ist also schuld?

 

Zuwanderungsfrage ist eine offene Flanke

 

Die weite Flanke, in die die AfD gnadenlos stößt, ist die Zuwanderungsfrage, auf die der Kanzler mit seinen grünen Partnern und der Innenministerin keine schlüssigen Antworten liefert. Daneben findet die Union keine durchsetzbaren, selbst in den eigenen Reihen überzeugenden Rezepte. Der ungeheure Druck von unten auf die Bundespolitik ist insgesamt zu spüren. Die kommunalen Spitzenverbände schicken eine Alarmmeldung nach der anderen nach Berlin. Es geht darum, den Missbrauch des Asylrechts wirksam zu unterbinden. Boris Palmer, unverändert Oberbürgermeister von Tübingen und nicht mehr bei den Grünen, bringt es auf den Punkt: „Dass die AfD verschwindet, wenn niemand in der Politik mehr über Probleme mit Migration und Geflüchteten redet, ist einfach unwahrscheinlich.“ Man kann zu ihm stehen, wie man will. Er hat recht, wie er es in seinem Gastbeitrag in der ZEIT beschreibt. Was die Leute umtreibe, sei die Angst vor dem Verlust der Heimat – verbunden mit der Sorge vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg. Da fehlen uns die wirksamen Antworten.  

 

Nehmen wir das Beispiel Wohnen. Da gibt es ein Programm der Bundesregierung, aus dem offensichtlich nichts wird. Vielleicht werden gut die Hälfte der 400.000 angekündigten Einheiten in diesem Jahr gebaut. Das reicht bei weitem nicht. Wer eine Mietwohnung sucht, braucht inzwischen Glück wie beim Lotto. Der Wohnungsbau ist auch für den Einzelnen wegen der Inflation, steigender Zinsen, bei explodierenden Material- und Lohnkosten fast zum Erliegen gekommen. Darüber mehren sich die Meldungen gerade in dieser Woche, wo eine weitere Zinssteigerung für die Verbraucher nach dem EZB-Beschluss zu erwarten ist. Es gibt die an sich richtige Überlegung, die Grunderwerbssteuer beim Bau oder Kauf des ersten selbst genutzten Wohneigentums auszusetzen. Das wäre ein erster politischer Schritt, jungen Familien Zukunftsängste zu nehmen. Allerdings träfe das wieder die Kommunen, bei denen am Ende die meisten Lasten landen, wenn es um die Lösung drückender Probleme geht. 

 

Grenzüberschreitung eines Wolfes

 

Es gibt viele andere Themen, die die Menschen gerade auch auf dem Lande bewegen. Wir greifen sie regelmäßig in unseren täglichen Beiträgen auf. Dazu gehören etwa die geplanten Etatkürzungen im Landwirtschaftsbereich, was der Green Deal in Brüssel für Bauern und Industrie bei uns bedeutet, wie sich die geplante Krankenhausreform im ländlichen Raum auswirkt oder ob nun der Wolf doch ins Jagdrecht gehört oder nicht. 

 

Das Raubtier kennt übrigens keine Grenzen. In den Niederlanden war es wahrscheinlich ein junger Rüde aus NRW, der in der Provinz Drenthe eine Schafherde angegriffen hat. Dabei hat er nicht nur Weidetiere getötet, sondern auch den Schäfer so bissverletzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Der zuständige Bürgermeister hat dann angeordnet, dass das Tier von der Polizei getötet wurde. Das sollte sich mal hier ein Gemeindechef erlauben! Wegen der Herkunft befasst sich auch noch das zuständige Ministerium in Düsseldorf damit. Dass der Wolf ein EU-Thema ist, haben wir schon mehrfach beschrieben. Jetzt allerdings die Äußerung der Kommissionspräsidentin von der Leyen über eine mögliche Senkung des Schutzstatus mit dem bekannten Riss eines ihrer eigenen Pferde in Niedersachsen in Zusammenhang zu bringen, ist schon etwas dreist. 

 

Und dann haben wir es unverändert weiter mit den an den eigenen Zielen gemessen relativ wirkungslosen Aktionen der sogenannten Jungen Generation zu tun. Schäden, die dabei angerichtet werden, sind das Ergebnis von Straftaten und haben nichts mit dem Demonstrationsrecht zu tun.

 

Echter Klimaprotest oder Inszenierung?

 

Dazu kehre ich noch einmal nach Österreich zurück, wo es diese Erscheinung auch gibt. Meine erste direkte Konfrontation mit dieser Art von Klimaprotesten fand vor einigen Tagen in Salzburg während der „Jedermann-Premiere“ statt. Allerdings wurde in diesem Fall kein Sachschaden angerichtet. Kaum jemand im Festspielhaus konnte auseinanderhalten, was denn nun echter Protest war oder Teil der Inszenierung. Hinterher war in den gemischten Kritiken zu lesen, dass zu Beginn die den Reichtum des Jedermann symbolisierende marmor-prächtige Villenfassade im Bühnenbild von Schauspielern mit roten Westen aus Feuerlöschern besprüht wurde. Dafür hatte der Regisseur gesorgt, um die vermeintlich zeitgemäße Kritik am angeblich klimaschädlichen Reichtum aufzunehmen. Dann kam das „Original“ junger Demonstranten, die sich unter das Publikum gemischt hatten, um den bevorstehenden „Klimatod“ lautstark anzuprangern, bevor sie von Security-Leuten hinauskomplimentiert wurden. Irgendwie war für mich somit auch diese Aktion der Letzten Generation so grotesk wie bei uns etwa in manchen unseren Großstädten oder auf Sylt. Unter dem Strich erlebe ich das alles als Inszenierung und Theater. Mehr nicht. 

 

Ihnen allen ein schönes Sommer- und Ferienwochenende!

Ihr

Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination


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