Kretschmann und das grüne Feindbild

Es gibt ja E-Autos: Baden-Württembergs Ministerpräsident ruft seine Partei auf, das Automobil nicht zu verteufeln – vor allem im ländlichen Raum

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Foto: gruene-bw.de)
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Foto: gruene-bw.de)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Woran spürt man, wenn eine große politische Karriere im Alter auf ihr Ende zustrebt? Am häufigsten dadurch, dass sich die Protagonisten kaum noch um plumpe Ideologie, abgehobene Parteiprogramme und falsche Kompromissbereitschaft kümmern. Winfried Kretschmann, seit Mai 2011 Baden-Württembergs Ministerpräsident – ohne Unterbrechung mal mit der SPD, zurzeit und wiederholt mit der CDU regierend –, ist so einer, der es leid ist, gegen jede eigene Überzeugung grüne Feindbilder zu pflegen. Das klebt ihm das Etikett „ökokonservativ“ auf, wird aber – zumindest in Baden-Württemberg – vom Wähler als wirtschaftsklug und bodenständig belohnt.

 

Jetzt hat Kretschmann seine Grünen gewarnt und ermahnt, sich endlich vom alten Auto-Feindbild zu lösen. Das Auto sei bei den Grünen noch nie beliebt gewesen, sagt der 75-Jährige, weil „es CO2 emittiert, Straßen benötigt und die Natur beeinträchtigt“. Aber Kretschmann weiß etwas, was viele bei den Grünen gern verdrängen: „Mittlerweile gibt es Elektroautos, die kein CO2 ausstoßen“. Aha!

 

China: Nicht zurück aufs Fahrrad, sondern Angriff mit dem E-Auto

 

Das wird viele Radikalökos in seiner Partei nicht besänftigen. Denn die Innenstädte werden auch durch E-Autos verstopft, und der Öffentliche Personennahverkehr hat auch E-Mobilisten im Auge, wenn sie versuchen, den Neu- und Ausbau von Straßen zu blockieren, oder sich als „Letzte Generation“ dort in den Weg kleben.

 

Aber Kretschmann, der Landesvater im automobilen Produktions-Südwesten, stört nicht nur die blinde Wut der Autofeinde, die mit ihren Sonntagsreden übers Radfahren „das Klimaproblem des Individualverkehrs nicht lösen“, weil die Menschheit da nun mal nicht mitmacht. Anders gesagt: Die Chinesen wollten eben nicht wieder zurück auf Fahrrad, sondern bauten stattdessen E-Autos „und greifen uns damit an“. Besser (und eindringlicher) hätten es die Vorstände von Mercedes, Audi und Porsche im Kretschmann-Autoland auch nicht sagen können. 

 

Kretschmann – der alte Landbewohner

 

Aber der Ministerpräsident liest seinen Grünen noch auf einem anderen Gebiet die Leviten. Wie das nur einer kann, dessen Familie in Lainz bei Sigmaringen am Rand der Schwäbischen Alb wohnt – weit weg von jenen Großstadt-Ökos, die alle paar Meter von ihrem Heim eine S-Bahn-, U-Bahn-, Straßenbahn- oder Bushaltestelle vor der Tür haben. Oder gut mit millionenschweren Radwegkonzepten und kundenfreundlichen Carsharing-Offerten versorgt sind. Kretschmann geht es nicht zuletzt um den ländlichen Raum, wo das Auto nicht komplett durch den öffentlichen Nahverkehr ersetzt werden kann. „Das ist ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt der alte Landbewohner. Deshalb sei es „schädlich“, einen Kulturkampf gegen das Auto zu führen. 

 

So ist es wohl, wenn sich Karrieren dem Ende zu neigen. Oft siegt dann der gesunde Menschenverstand? Oft zu spät.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Rainer Kirmse , Altenburg (Donnerstag, 27 Juli 2023 11:48)

    AUTOWAHN

    Das Auto, der Deutschen liebstes Kind,
    immer freie Fahrt und das geschwind.
    Ein Tempolimit ist kaum Option
    in der autoverrückten Nation.

    Ich fahre Auto, also bin ich!
    Klima und Umwelt, was kümmert's mich.
    Und steig ich noch aufs E-Gefährt um,
    steht's auch im Stau oder nutzlos rum.

    Im Trend SUV und Zweitwagen,
    die Straßen und Wege zuparken.
    Es ist an der Zeit, neu zu denken,
    Blechkisten den Platz zu beschränken.

    Städte brauchen Bäume und viel Grün,
    nicht den Duft von Gummi und Benzin.
    Keiner braucht ein Auto alleine,
    drum teilt oder fahrt im Vereine.

    Benutzen wir Fahrrad, Bus und Bahn,
    beenden endlich den Autowahn.
    Ein sauberes Zeitalter beginnt,
    Das Heilige Blech hat ausgedient.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    War halt nur ein kleines Gedicht
    und zu optimistisch die Sicht.�
    Heilig's Blechle verschwindet nicht.
    Manche brauchen es auch wirklich.

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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