Was wird aus dem Leben auf dem Land?

Die EU-Kommission hat eine Skizze für die ländlichen Räume bis zum Jahr 2040 entworfen

Leben auf dem Land. (Symbolbild: Hans)
Leben auf dem Land. (Symbolbild: Hans)

 

Von Ludwig Hintjens

 

Ein Drittel der EU-Bevölkerung, rund 137 Millionen Menschen, wohnt auf dem Land. Die Provinz, der ländliche Raum, entspannt sich auf einer Fläche, die 80 Prozent des Hoheitsgebiets der 27 EU-Mitgliedstaaten ausmacht. Dennoch sind Gegenwart und Zukunft des Lebens auf dem Land selten im Fokus der EU-Politik. Das ist ein Fehler. Die Vielfalt, die Europa ausmacht, wird im ländlichen Raum stärker bewahrt als in den urbanen Gebieten: Hier ist der landschaftliche Reichtum sichtbar, hier werden die Traditionen, Feste und Gebräuche, das nicht materielle Kulturerbe, besonders gepflegt. Gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Verstädterung ist es höchste Zeit, einen Plan für die Zukunft zu entwickeln.

 

Die Kommission hat es getan und eine Skizze für die ländlichen Räume bis zum Jahr 2040 entworfen. Das Europaparlament hat sich damit beschäftigt, der Abgeordnete Alvaro Amaro, ein Christdemokrat aus Portugal, hat einen Bericht dazu verfasst. Er weist zu Recht auf den Strukturwandel der Landwirtschaft hin. Von 2003 bis 2016 ist die Zahl der Bauernhöfe in der EU um 32 Prozent zurückgegangen. 2016 hat es noch 10,5 Millionen Höfe gegeben. Bis zum Jahr 2040 wird die EU noch einmal fast vier Millionen Höfe verlieren.

 

Egal ob in Finnland, Deutschland oder Rumänien: Auf wirtschaftlichem Gebiet sind die Unterschiede zwischen dem Leben auf dem Land und in der Stadt beträchtlich. Obwohl in den ländlichen Räumen ein Drittel der Bevölkerung wohnt, werden dort nur zwölf Prozent aller Jobs angeboten. Die Wirtschaftsleistung, die im Schnitt je Kopf erwirtschaftet wird, beträgt nur dreiviertel des Wertes der gesamten Volkswirtschaft.

 

Versorgung mit schnellem Internet

 

Wie wird das Leben auf dem Land attraktiver? Die Kommission benennt dafür vor allem zwei Politikfelder. Zum einen müsse die Versorgung mit schnellem Internet gewährleistet werden. 5G-Standard wird flächendeckend gebraucht, damit das Land für Unternehmen und Bürger kein Standortnachteil mehr ist. Bis 2030, das ist in sieben Jahren, soll jeder Europäer am demokratischen Leben und den öffentlichen Dienstleistungen online teilnehmen können. Das sind hehre Ziele. In Deutschland etwa hat man es in 15 Jahren nicht geschafft, die elektronische Gesundheitskarte ans Laufen zu bringen. Da ist Skepsis angebracht, ob auf EU-Niveau weitergehende Dienstleistungen wie die elektronische Patientenakte flächendeckend zu haben sind.

 

Zweitens müssen die Verkehrsverbindungen zwischen den Städten und dem ländlichen Raum dramatisch verbessert werden. Schon im öffentlichen Verkehr wird das schwer, angesichts weiter zurückgehender Bevölkerungszahlen im ländlichen Raum. Hinzu kommt, dass der öffentliche Verkehr Barrieren abbauen muss, die Behinderten und Alten die Benutzung erschweren oder unmöglich machen.

 

Die Skizze der EU für den ländlichen Raum bis zum Jahr 2040 hat ein großes Defizit. Sie blendet völlig aus, dass der Green Deal – der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als zentrales Vorhaben eingeleitete Generalumbau der Volkswirtschaft unter grünem Vorzeichen – massive Folgen für die Menschen im ländlichen Raum haben wird. Der erzwungene Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor im Jahr 2035 und die angepeilte Renovierungswelle im Wohnungs- und Häuserbestand von EU-weit 220 Millionen Gebäuden bis 2050 werden die Menschen im ländlichen Raum stärker treffen.

 

E-Auto für viele auf dem Land zu teuer

 

Das E-Auto ist für den größten Teil der Landbevölkerung nicht erschwinglich. Die individuelle Mobilität wird deutlich teurer, wenn nur noch batterieelektrische Autos unterwegs sein sollen. Mangels öffentlicher Verkehrsmittel sind viele Menschen auf dem Land umso mehr auf das Auto angewiesen. Ähnlich sieht es beim Wohnraum aus. Der Gebäudebestand auf dem Land ist deutlich älter als in den meisten Städten. Umso höher werden die Kosten für die Wärmesanierung sein.

 

Es ist ein schwerer Fehler, dass die Kommission in ihrer Vision nicht einmal die Folgen ihrer eigenen politischen Weichenstellungen berücksichtigt. Dies zeigt: Das Problembewusstsein für die Lage der Menschen auf dem Land ist nicht vorhanden. Und schon gar nicht können die Menschen darauf vertrauen, dass von der EU Hilfe kommt. Das Stadt-Land-Gefälle wird sich in den nächsten Jahren vergrößern. 

 


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