Argumente statt Anfeindungen

Der Staat muss sich gegen Angriffe auf die demokratischen Spielregeln wehren

Ein roter Luftballon mit der Aufschrift „No Hate“. (Foto: Alexander Hauk / alexander-hauk.de / pixelio.de)
Ein roter Luftballon mit der Aufschrift „No Hate“. (Foto: Alexander Hauk / alexander-hauk.de / pixelio.de)

 

Von Jürgen Wermser

 

Der politische Ton in Deutschland wird vielerorts rauer und gereizter. Das mag an den aktuellen Themen liegen, die jeden Einzelnen betreffen – von Energiewende, Ukrainekrieg bis hin zu den seinerzeitigen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Doch damit sollte man sich nicht begnügen, denn ohne eine offene Diskussion, in der sich alle Seiten ernst genommen fühlen, kann eine Demokratie nicht funktionieren. „Wir müssen zurück zum Schlagabtausch mit offenem Visier der Demokraten“, hat jetzt auch der Richter am Bundesverfassungsgericht und frühere saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller in einer Diskussion der Erich-Brost-Stiftung gefordert. Denn eben diese freie Meinungsäußerung decke das Grundgesetz ab. „Aber wir beobachten zunehmend eine Diskrepanz zwischen normativem Recht und Rechtswirklichkeit“, warnte Müller.

 

Das alles mag zunächst etwas theoretisch klingen, aber die Auswirkungen einer solchen Debattenkultur sind sehr praktisch bis tief in den ländlichen Raum zu spüren. Vor allem Lokalpolitiker und auch die Bürgermeister kleinerer Kommunen klagen dort seit längerem über Anfeindungen, Beschimpfungen oder gar Drohungen gegen Leib und Leben. Solche Vorgänge können nicht nur strafrechtlich von Bedeutung sein, sondern sie sind vor allem auch politisch höchst gefährlich. Denn wie lassen sich qualifizierte Bewerber und Bewerberinnen für den Dienst am Gemeinwesen gewinnen, wenn sie anschließend um ihre persönliche Sicherheit oder die ihrer Familie fürchten müssen? 

 

Eine bundesweit angelegte Umfrage unter Bürgermeistern und Landräten über das subjektive Erleben sowie Erfahren von Hass, Hetze und/oder Gewalt im Rahmen ihrer beruflichen bzw. ehrenamtlichen Amtsausübung hatte erschreckende Ergebnisse erbracht. 46 Prozent der Befragten hatten demnach in den letzten sechs Monaten Anfeindungen erlebt.

 

Beleidigungen und tätliche Übergriffe

 

Dieses „Kommunale Monitoring“ (KoMo) ist durch die Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus des Bundeskriminalamtes in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund erstellt worden. Anfeindungen (70 Prozent) und Hasspostings (26 Prozent) fanden überwiegend in Form von Beleidigungen, übler Nachrede/Verleumdung und Bedrohung/ Nötigung statt, und tätliche Übergriffe (4 Prozent) in Form von Bedrängen, Wegschubsen, Schlagen/Treten sowie Beschädigung an Fahrzeugen und Beschädigung des Wahlkampfstandes/der Plakate.

 

14 Prozent der zuletzt persönlich erlebten Vorfälle und 28 Prozent der Vorfälle gegen Familienangehörige der Amtsträger wurden laut der KoMo-Umfrage zur Anzeige gebracht. Viele der Betroffene scheuen augenscheinlich den Aufwand, in jedem der Fälle die Justiz einzuschalten. Auch könnte die Sorge, die Stimmung nur weiter aufzuheizen, so manchen von rechtlichen Schritten abhalten. Aber es geht natürlich auch anders, wie das Beispiel der ebenso prominenten wie streiterfahrenen Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigt. 

 

Der Büroleiter von Strack-Zimmermann berichtete dem „Business Insider“, dass täglich eine Arbeitsstunde dafür draufgehe, sich mit Anfeindungen zu befassen. Die kämen zum Beispiel über soziale Netzwerke, per Mail oder auch als Brief – manchmal sogar mit Absender. Ein Anwalt identifiziert laut dem Bericht justiziable Kommentare und am Ende des Monats bekommt die FDP-Politikerin einen großen Stapel Anzeigen auf den Tisch gelegt, um diese zu prüfen und zu unterschreiben. In diesem Jahr sind nach Angaben des Büroleiters pro Monat 250 Strafanzeigen zusammengekommen. Wenn Strack-Zimmermann einen öffentlichen Auftritt habe, seien am kommenden Tag um die 600 neue Hetzbotschaften im Hauptpostfach. Mitarbeiter bekämen dann jeweils weitere Hunderte.

 

Heikle Debatte um Zuwanderung

 

Keine Frage, der Staat muss hier konsequent zum Schutz der Betroffenen, aber auch zum Schutz der eigenen Funktionsfähigkeit durchgreifen. Doch das allein reicht nicht. Zugleich sollten Themen, die die Menschen bewegen, nicht in der öffentlichen Diskussion ausgegrenzt und tabuisiert werden. Stattdessen sollte über diese Probleme offen, faktenorientiert und durchaus kontrovers geredet werden. Dies wurde bei der Tagung der Brost-Stiftung veranschaulicht am Beispiel der Migrationsproblematik. Hier geht es etwa auch um Transferleistungen und die Frage der Frauenrolle vor dem Hintergrund muslimischer Zuwanderung. Doch darüber wird in der Öffentlichkeit kaum gesprochen.

 

Daraus entstehe, so Verfassungsrichter Müller, ein diffuses Unbehagen bei den Menschen, die sich von der Politik nicht mehr mitgenommen fühlten. Mit der Folge, dass die AfD im Deutschlandtrend gleichauf mit der SPD liegt. „Statt sich inhaltlich mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen, werfen sich Regierung und Opposition wechselseitig vor, für den Rechtsruck verantwortlich zu sein.“ Der Angriff auf Personen werde zunehmend genutzt, um von der Sachdebatte abzulenken, kritisierte Müller. Dem kann man wohl kaum widersprechen …

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Edgar Boehlke (Donnerstag, 22 Juni 2023 07:07)

    Wenn die Politik permanent ignoriert was das die Mehrheit will und sich über Volksinteressen kontinuierlich hinwegsetzt, was glaubt ihr den, wird passieren. Dieser Hass und Unmut kommt doch nicht einfach so…,.,ziemlich naiv zu denken das diese Art Politik zu machen keine Konsequenzen hervorruft. Finde es ziemlich unfair jetzt die anzugreifen, die nie gehört wurden und werden und denen die Schuld zuzuweisen, dass der Ton rauer wird.
    Nicht das ich glaube, das der Hass was positives ist, aber man muss doch sehen wo und wie er entsteht!

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