Genossenschaften stemmen sich gegen die Krise

Gerade in schwierigen Zeiten scheinen Genossenschaften an Attraktivität zu gewinnen – nicht zuletzt auch im ländlichen Raum

Eine Photovoltaikanlage. (Symbolbild: Sebastian Ganso)
Eine Photovoltaikanlage. (Symbolbild: Sebastian Ganso)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Die Zahlen sind beeindruckend: Ende des vergangenen Jahres, so bilanziert Michael Stappel, Genossenschaftsstatistiker und Volkswirt der DZ Bank, im kürzlich erschienen Deutschen Genossenschaftsbericht 2022, gab es in Deutschland 7819 genossenschaftliche Unternehmen mit 22,45 Millionen Mitgliedern und 1,03 Millionen Mitarbeitern. Damit ist dieser Verbund, der auf die Idee von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch am Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht, weiterhin die mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation im Land. Nicht nur das: Genossenschaftsanteile bilden die am stärksten verbreitete Form der Beteiligung der Bevölkerung am Produktivkapital der Volkswirtschaft.

 

In den zurückliegenden Jahren ließen Fusionen gerade im Bereich der Genossenschaftsbanken und verschiedene Auflösungen die Anzahl der Unternehmen schrumpfen. Doch die Trendwende ist offenbar eingeläutet. Laut Bericht überstieg schon im vergangenen Jahr die Zahl der Neugründungen den Rückgang. 219 Unternehmen wurden im Jahr 2021 neu ins Genossenschaftsregister eingetragen.

 

Bis Ende Juni 179 Genossenschaften neu gegründet

 

Und das erste Halbjahr 2022 deutet auf eine noch weitere Steigerung hin. 179 Neugründungen wurden bis Ende Juni registriert. Ein Rekord für sechs Monate – und ein Hinweis darauf, dass die inzwischen zum immateriellen Weltkulturerbe gehörende Idee gerade in schwierigen Zeiten neue Anhänger findet. Nicht zuletzt auch im ländlichen Raum.

 

Für Dr. Johannes Blome-Drees vom Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln gehört dies zum Wesenskern der Genossenschaften: „Sie sind lokale und regionale Keimzellen, mit denen Krisen, die ihre Ursachen häufig in großräumigen oder gar globalen Entwicklungen und Zusammenhängen haben, begegnet wird“, erklärte er kürzlich in einem Interview.

 

Verdopplung im Energiebereich

 

Und Krisen gibt es wahrlich genug. Zwar entfiel ein Großteil der Neugründungen auf „sonstige Dienstleistungsgenossenschaften“, doch bei den Energiegenossenschaften wurde eine Verdoppelung registriert. Bei den Wohnungsgenossenschaften blieb die Zahl der Neugründungen stabil.

 

Für Michael Stappel ist der Genossenschaftssektor wie geschaffen für die gesellschaftliche Aufgabe, dem Klimawandel zu begegnen und die Abhängigkeit gerade von russischem Gas zu reduzieren. In den zurückliegenden Jahren gab es nach seinen Untersuchungen rund 1.000 Neugründungen von Genossenschaften rund ums Thema erneuerbare Energien. Dies zeige deutlich, dass in bürgerlichem Engagement errichtete Unternehmen zur Erzeugung und Verteilung von Energie aus Sonne, Biomasse und Wind einen wertvollen Betrag zur Akzeptanz der Energiewende leisten können.

 

Photovoltaikgenossenschaft als Erfolgsmodell

 

Das mit Abstand erfolgreichste Modell ist nach Angaben des DZ-Bank-Volkswirts die Photovoltaikgenossenschaft, „weil die Anlagen technisch leicht umzusetzen sind, es einfach nachzuahmende Vorbilder solcher Genossenschaften gibt“. Der Neugründungsprozess ist bereits vielfach erprobt. Andere Beispiele sind Windkraftgenossenschaften, Biogasgenossenschaften, genossenschaftliche Nahwärmenetze oder sogar genossenschaftlich getragene Bioenergiedörfer, die sich komplett unabhängig von fossiler Energie machen.

 

Der Aufwärtstrend kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Genossenschaften gerade in der aktuellen Zeit unter Druck stehen. Die Kosten explodieren, die Märkte schrumpfen, Lieferketten sind durch Corona und zusätzlich durch den Angriff Russlands auf die Ukraine beschädigt. Behaupten sich die Genossenschaften, unterstreicht dies noch einmal ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft.

 


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