Tödliches Risiko Ärztemangel

Keiner soll früher sterben oder eine schlechte gesundheitliche Betreuung erfahren, wenn er nicht in der Stadt lebt, sondern auf dem Dorf. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus

Foto: Karolina Grabowska
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Von Frank Polke

Die Erleichterung war dem Präsidenten der Landesärztekammer Sachsen anzumerken. „Die Zahl der Ärzte in Sachsen ist im vergangenen Jahr gestiegen. Derzeit arbeiten bei uns im Freistaat 19.693 Ärzte. Das sind immerhin 442 mehr als noch ein Jahr zuvor“, erklärte Erik Bodendieck bei einer Pressekonferenz in Dresden. Doch wo kommen diese Ärzte her? Und genügen sie, um die medizinische Versorgung auch in den ländlichen Räumen sicherzustellen?

 

Bekannt ist: Laut Landesärztekammer kommen von den knapp 20.000 Ärzten, die in Sachsen aktuell arbeiten, 3200 aus dem Ausland – Tendenz steigend. Die meisten stammen aus Syrien (416), der Tschechischen Republik (415), Polen (275), der Slowakei (238), Russland (182), Rumänien (175) sowie der Ukraine (160). „Viele Kliniken und Praxen in Sachsen sind auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Ohne die ginge vielerorts nicht viel“, erklärte Bodendieck sicher auch mit Blick auf den im Freistaat grassierenden Rechtspopulismus. Denn genau dieser schreckt Bewerber aus dem Ausland ab, gemeinsam mit ihren Familien als Arzt in den „Osten“ zu ziehen und dort als Landarzt sein Glück zu versuchen. Wer geht schon an einen Ort, wo er Ablehnung sogar mehr befürchten muss.

 

Dabei ist der ländliche Raum bundesweit mehr denn je auf den Zuzug von Medizinern aus dem Ausland angewiesen. Denn die Ärztedichte liegt besonders in Teilen Sachsens, Sachsen-Anhalts und vor allem in Brandenburg unter der kritischen Marke von 138 bezogen auf 100.000 Einwohner. Da mag es ein schwacher Trost sein, dass auch im Westerwald sowie Teilen Schleswig-Holsteins und Bayerns die Lage ebenfalls schlimm ist.

 

Es trifft Kinder – und alte Menschen

 

Gefährlich ist diese Unterversorgung des ländlichen Raumes für alle Bevölkerungsgruppen. Sie trifft alte und junge Menschen, chronisch Kranke und Notfallpatienten. So wohnen zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern fast fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren mehr als 20 Kilometer vom nächsten aktiven Arzt entfernt. 20 Kilometer – und das oft ohne guten öffentlichen Personennahverkehr. Gesundheitsforscher haben zudem bewiesen, dass Kinder und Jugendliche, die in unterversorgten Regionen leben, oft die lange Fahrt scheuen und deswegen seltener zum Arzt gehen. Ein riskantes Spiel, geboren aus der Not.

 

Alarmierend ist diese Tendenz auch für chronisch Kranke oder Menschen ab 65 Jahren. Regelmäßige ärztliche oder pflegerische Betreuung wird für diese Bevölkerungsgruppe zur Strapaze, die man scheut oder vielleicht nur mit viel Aufwand bewältigen kann oder will. Oder eben nicht will.

 

Landarztquote wirkt sich ab 2030 aus

 

Und was unternimmt die Politik? Der sächsische Ärztekammerpräsident Bodendieck wirbt für „moderne Arbeitsmodelle und Kooperationsmodelle“, um wenigstens frei werdende Praxen auf dem Land wieder besetzen zu können. Ob dies hilft, steht doch eher in den Sternen. Telemedizin ist ein weiterer Hoffnungsschimmer. Viele Bundesländer setzen auf die Landarztquote. Das hat wenig mit der romantisierende ZDF-Serie zu tun, sondern soll mehr junge Menschen befähigen, auch mit schlechterem Abi-Notenschnitt ein Medizinstudium aufzunehmen. Im Gegenzug verpflichten sich diese Studierenden, sich für einen festgeschriebenen Zeitraum nach dem Medizin-Studium im ländlichen Raum als Arzt niederzulassen. 

 

Finanzielle Anreize für die Ausstattung der Praxis kommen in vielen Bundesländern – so zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen – hinzu. Das ebenfalls an Ärztemangel leidende Bayern – schon immer stolz auf eigene Ideen – meldete im Frühling erste Zahlen: 2023 studieren im Freistaat über 440 junge Menschen über die Landarztquote sowie 51 im Rahmen der ÖGD-Quote an einer der sieben medizinischen Fakultäten Humanmedizin. Also, alles bald gelöst im Söder-Land? Von wegen: Die ersten Hausärzte, die über diesen Weg ihr Studium aufnehmen, werden voraussichtlich erst im Jahr 2031 die größten Lücken in den Praxen schließen. Sieben Jahre also. Eine Zeit, die wohl viele Patienten auf dem Land nicht haben.

 


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