Auf dem Land ist eine engagierte Lokalzeitung unverzichtbar

Eine aufschlussreiche Masterarbeit zeigt, dass in Orten ohne journalistische Wahrnehmung überdurchschnittlich oft AfD gewählt wird

Foto: Andrys
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Von Wolfgang Molitor

 

Die Lokalzeitung wird gern für tot erklärt, als journalistisch minderwertig diffamiert, überflüssig und wirtschaftlich perspektivlos. Braucht es diese „Blättle“ dann überhaupt für die politische Bildung, für die Demokratie, fragen nicht nur die Social-Media-Jungen. Die Antwort ist eindeutig: Ja! Das belegt eine Studie in Baden-Württemberg.

 

Besonders auf dem Land ist danach eine engagierte Lokalzeitung unverzichtbar. Politisch wie sozial. Sie bereitet kommunale Vorgänge kontinuierlich auf und ordnet sie ein. Sie sorgt damit für eine offene Debatte, früh, kontinuierlich und breit gestreut. Erst durch ihre Berichte werden Themen in den Gemeinden sichtbar, für die Einwohner wie für Lokalpolitiker. Zudem fühlen sich gerade Bewohner im ländlichen Raum durch diese Öffentlichkeit mehr mit ihrer Heimat und den Mitmenschen verbunden. Berichte und Reportagen fördern darüber hinaus die politische Bildung, die eng mit politischem Engagement verbunden ist. Wenn Lokalmedien es schaffen, ihren Aufgaben nachzukommen, dienen sie als Wachhunde der Demokratie und prangern Missstände und Korruption an.

 

Jede gute Lokalzeitung ist der Beweis dafür, dass es die Demokratie ohne Journalismus schwer hat. Doch Lokalzeitungen sind auf dem Rückzug. Während es in Bayern noch mehr als 50 Lokalblätter gibt, sind es in Thüringen gerade mal noch sechs. Die Landtagswahl in diesem September wird die These wohl untermauern. Mit gefährlichen Folgen für das demokratische Fundament. Vor allem im ländlichen Raum. Maxim Flößer hat in seiner aufschlussreichen Masterarbeit für Baden-Württemberg einen Zusammenhang zwischen AfD-Stimmen und der Existenz von eigenen Zeitungsausgaben in Kommunen herausgearbeitet. Ergebnis: Gibt es mindestens eine lokale Zeitung vor Ort, wählen weniger Menschen AfD als in Orten ohne eine Lokalzeitung. Weil die Menschen gerade auf lokaler Ebene Demokratie hautnah erfahren.

 

Zusammenhang von Leser- und Wählerverhalten 

 

Wächst damit in journalistisch unterversorgten Regionen das Bedürfnis, extremere Parteien zu wählen? Von Juni bis August 2023 hat der 28-Jährige für jede einzelne Gemeinde in Baden-Württemberg überprüft, ob diese eine Lokalzeitung hatte, die wirklich lokal berichtet, also vor Ort vertreten ist. Insgesamt erfasste Flößer Informationen für 1098 von insgesamt 1102 Gemeinden in Baden-Württemberg und über 80 Lokalzeitungen und -ausgaben.

 

Das Ergebnis lässt aufhorchen. 891 Gemeinden in Baden-Württemberg haben mindestens eine Lokalzeitung vor Ort, 207 Gemeinden haben laut Flößers Recherche keine eigene Lokalpresse. Der durchschnittliche Stimmenanteil für die AfD, gemessen an der Bevölkerung vor Ort, lag in diesen bei 12,08 Prozent, in Gemeinden mit mindestens einer Lokalzeitung bei 10,49 Prozent. Der Unterschied bei den AfD-Stimmenanteilen in Orten mit und ohne Lokalzeitung beträgt danach statistisch 1,6 Prozentpunkte. Das klingt nach wenig. Doch es weist darauf hin, dass im Mix der vielfältigen Gründe, AfD zu wählen, der Mangel an lokaler Berichterstattung messbar ist. Lag die AfD in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 2021 bei 9,7 Prozent, schnitt sie vor allem im ländlichen Raum überdurchschnittlich stark ab. In Börslingen im Alb-Donau-Kreis stimmten 22,2 Prozent für die Partei, in Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis 21,72 Prozent. 

 

Gibt es ihn also, den Zusammenhang zwischen einem AfD-Hoch und dem lokalen Medienangebot? Anhaltspunkte für Flößers Forschungsfrage waren AfD-starke Landkreise wie Hohenlohe, Calw oder Schwäbisch-Hall, wo in den letzten Jahren viele Lokalredaktionen dichtmachten. Nach Angaben des Verbandes der Südwestdeutschen Zeitungsverleger schrumpfte die Gesamtauflage der Lokalzeitungen zwischen 2001 und 2021 um ein Drittel. Bereits jetzt werden nicht mehr alle Landkreise von eigenständigen Lokalzeitungen oder zumindest von Lokalredaktionen überregionaler Zeitungen abgedeckt.

 

Hohes Vertrauen in die Lokalpresse

 

Noch immer genießt laut diversen Studien die Lokalpresse in Deutschland das höchste Vertrauen unter den Zeitungen. Sie gilt als das wichtigste Medium, um sich über Lokales zu informieren. Fehlen Lokalzeitungen, kann das die Wahl von Populisten fördern. Wenn Lokalzeitungen tatsächlich für eine höhere Demokratiezufriedenheit sorgen, die wiederum die Wahl der AfD negativ beeinflusst, bewirkt das Nicht-Vorhandensein einer Lokalzeitung den gegenteiligen Effekt, vermutet Flößer wohl nicht zu Unrecht.

 

Fehlt die Berichterstattung vor Ort, fehlt die kritische Einordnung. Bei der Landtagswahl 2021 gaben 63,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab (wie bereits erwähnt gewann die AfD 9,7 Prozent). Überdurchschnittlich waren ihre Ergebnisse vor allem in den Landkreisen Alb-Donau, Calw und Schwäbisch Hall. In Gemeinden wie Setzingen (Alb-Donau), Haiterbach (Calw) oder Fichtenau (Schwäbisch Hall) erzielte sie im Schnitt sogar mehr als 19 Prozent. Alle genannten Gemeinden haben keine eigene Lokalzeitung. Zufall?

 

Nein, sagt Flößer. Die Differenz tritt nicht zufällig auf. Die Menschen in den Gemeinden ohne Lokalzeitung stimmten durchschnittlich rund 1,6 Prozentpunkte mehr für die AfD als in Gemeinden mit mindestens einer Lokalzeitung. Hinzu kommt: Wenn Nachrichtenwüsten vor allem in strukturschwachen Regionen bestehen, ist auch klar, dass diese Regionen abgehängter sind. Wählen die Menschen darum auch deshalb stärker AfD? Betrachtet man die Eigenschaften der Gemeinden mit und ohne Lokalzeitung, fällt jedenfalls auf, dass Nachrichtenwüsten durchschnittlich häufiger in kleineren Gemeinden mit finanzschwächeren Unternehmen, einem geringeren Migranten-Anteil, aber einer ähnlich hohen Arbeitslosenquote wie in den Gemeinden mit Zeitungen vorkommen.

 

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen: Lokalzeitungen haben Einfluss auf den Stimmenanteil für die AfD, unabhängig von der dortigen Arbeitslosigkeit oder dem Migrationsanteil. Sie zeigen, wie wichtig die Lokalpresse für die demokratische Hygiene vor Ort ist. Was nur eines heißen kann: Wir brauchen Lokalzeitungen!

 


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