Angst vor den Wahlen im Herbst

Die Landtagswahlen im Osten könnten auch die Machtverhältnisse in Berlin verändern – und zeigen, wie sich der demografische Wandel auf die politische Landkarte auswirkt

Foto: planet_fox
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Von Frank Polke

 

Die Umfragen sagen nichts Gutes voraus: SPD und Grüne müssen zum Beispiel bei den Landtagswahlen in Sachsen zittern, überhaupt wieder in den Landtag einzuziehen. Umfragen sehen vor allem die Grünen dort deutlich unter der Drei-Prozent-Marke, die Kanzlerpartei bei knapp unter fünf Prozent. Ausgerechnet die SPD, die 1863 in Leipzig gegründet wurde, könnte damit erstmals in einem Flächenland aus einem Parlament rausfliegen. Generalsekretär Kevin Kühnert fällt zu diesem drohenden Desaster wenig Neues ein. Natürlich müsse man die Gefühle der Ostdeutschen ernst nehmen. Und ihnen nicht das Gefühl vermitteln, dass sie abgehängt seien, sagt Kühnert wohl fast schon ein wenig hilflos. 

 

Die SPD hat sich in den neuen Bundesländern trotz einiger Erfolge in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nie flächendeckend als Anwalt gerade der Arbeiterschaft etablieren können. Es fehlt an Bindung, an Verwurzelung, an Personal. In der CDU bemüht sich vor allem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer aktuell redlich, all die erodierenden Gruppen und Stimmungen in seinem Bundesland einzufangen.

 

Viele Erklärungen für diese Entwicklungen sind bekannt: In der Nach-Wende-Zeit kam es im sozialen, gesellschaftlichen und vor allem im wirtschaftlichen Bereich zu gravierenden Umwälzungen. 65 Prozent der Erwachsenen mussten sich beruflich neu orientieren, verloren ihre Jobs. Die Treuhand spielte nicht überall eine gute Rolle, auch und gerade bei der Privatisierung der ehemaligen LPG-Betriebe in der Nach-Wende-Zeit. Nach wenigen Jahren vereintes Deutschland verschwand auch die geliebte D-Mark, die für die Ostdeutschen immer eine Verheißung war. Der Euro wurde eingeführt. Die Flüchtlingskrise gab den nächsten Schub: Eine verborgene Ablehnung von Fremden, von Ausländern hatte es auch zu DDR-Zeiten schon gegeben. Angolaner oder Vietnamesen waren nie integriert, wurden sogar attackiert – die DDR-Propaganda verschwieg das. Nach 2015 kamen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan nach Eisleben und Pirna, nach Görlitz und Gera. Gern gesehen waren die nicht.

 

Heizungsgesetz verstärkt Verunsicherung

 

Aktuell tut die in Berlin regierende Ampel-Koalition vieles dafür, diese Verunsicherung wachsen zu lassen. Jüngstes Beispiel: Das von Bundesumweltminister Robert Habeck geplante Heizungsgesetz hat die im Osten ohnehin ausgeprägte Verlustangst erheblich vergrößert. Viele befürchten, bald ihre Wohnung, ihr Haus zu verlieren. Viele Immobilien – gerade im ländlichen Raum, in den dünn besiedelten Räumen – dort stammen nämlich noch aus der Vor-Kriegszeit, wurden in der DDR-Zeit mangels Material und Kapital auch kaum oder ungenügend saniert.

 

 In der Nach-Wendezeit passierte ebenfalls wenig: Investoren haben in Leipzig und Dresden, vielleicht noch in Magdeburg oder Schwerin in Wohnungen investiert. Im Erzgebirge, in Brandenburg oder südlich des Küstenstreifens in Mecklenburg-Vorpommern geschah dies nicht. Das Heizungsgesetz bereitete vielen einen Schock. Rentner erhalten im Osten durchschnittlich 1380 Euro Rente. Bausparverträge gab es in der DDR ebenfalls nicht, auch Erbschaften wie im Westen nach den Wirtschaftswunderjahren sind nicht flächendeckend zu erwarten. Wie soll man da Investitionen für eine Wärmepumpe und Sanierung finanzieren? „Das ist vollständig unmöglich und überfordert viele Menschen im Osten. Und schon wieder ist bei den Menschen die Angst, aus dem eigenen Haus ausziehen zu müssen. Da kommen Erinnerungen an Nach-Wendezeiten hoch“, sagt ein Soziologe. Auf dem Land sorgten ungeklärte Eigentumsrechte für Flächen, die nach 1945 zwangskollektiviert wurden, für weitere Hürden sowohl bei der eigenen wirtschaftlichen Nutzung als auch bei Investitionen.

 

Osten hat Millionen Menschen durch Wegzug verloren

 

Neben dieser Verlustangst, die die Hinwendung zu radikalen Parteien wie der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht mit ihren einfachen Parolen ausdrückt, verstärkt auch die demografische Entwicklung im Osten die Schwäche der politischen Mitte. Insgesamt haben vier Millionen Menschen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die ehemalige DDR oder die neuen Bundesländer verlassen. Viele gingen nach dem niedergeschlagenen DDR-Volksaufstand von 1953, als die letzte Hoffnung auf das bessere Deutschland brutal von sowjetischen Panzern niedergerollt wurde. Dann wurde es durch Mauerbau im Jahr 1961 und Schießbefehl weniger (knapp 300.000 gelang Flucht, Übersiedlung oder Freikauf in den Westen dennoch). Danach gingen noch einmal 2,3 Millionen Menschen in den 90er Jahren. Ein ungeheurer Aderlass. 

 

Nach einer aktuellen Studie des Info-Instituts leben in Ostdeutschland so wenige Menschen wie seit 1905 nicht mehr. Der Studienautor Felix Rösel sagte Zeit Online: „Die anhaltende Wucht der deutschen Teilung wird bis heute in der Öffentlichkeit völlig unterschätzt. Dieser Aspekt wird häufig übersehen und bedarf besonderer politischer Berücksichtigung.“

 

Noch eklatanter wirkt sich der Bevölkerungsschwund in den ländlichen Räumen aus, wenn man sieht, dass Städte wie Dresden, Leipzig oder Magdeburg durchaus wachsen und Ostdeutschland wirklich zu einem konkurrenzfähigen Standort für die Halbleiterindustrie wird. Doch – und das macht es wirtschaftlich und politisch so gefährlich – durch die Abwanderung Hunderttausender vor allem jüngerer und weiblicher Fachkräfte in fast allen Epochen der Geschichte Ostdeutschlands entweder in die Städte des Ostens oder in den Westen aus den ländlichen Räumen fehlt nicht nur das Fachpersonal. Sondern es fehlen auch Wähler, die mit ihrer Stimme die politische Mitte stabil halten. Und kommt es so, wie die Demoskopen vorhersagen, könnte der Wahlausgang genau diese Tendenz weg aus dem Osten, weg vom ländlichen Raum im Osten noch dramatischer ausfallen lassen. Denn wer will schon in einem Land leben, in dem Radikale die Mehrheit haben … 

 


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