Von der Leyen entmachtet EU-Agrarkommissar 

Kommissionspräsidentin macht Agrarpolitik zur Chefsache und reagiert auf Bauernproteste

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Etienne Ansotte, Europäische Union, 2024)
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Etienne Ansotte, Europäische Union, 2024)

 

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Von Ludwig Hintjens

 

In der Landwirtschaftspolitik auf EU-Ebene gibt es Bewegung. Es sind zwei Entwicklungen zu beobachten, die miteinander in Beziehung stehen. Zum einen verliert der zuständige Kommissar, Janusz Wojciechowski, zunehmend an Einfluss. Zum anderen ergreift die Kommission immer mehr Maßnahmen, um den Unmut der Landwirte zu dämpfen.

 

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Agrarkommissar Janusz Wojciechowski weitgehend aus dem Verkehr gezogen und die Agrarpolitik zur Chefsache gemacht. Sie sorgte etwa dafür, dass der Pole Anfang Februar nicht im Europaparlament in der Debatte zur Lage der Landwirtschaft sprach, sondern Maroš Šefčovič. Dieser ist Vize-Präsident der Kommission und, wenn man so will, der Vorgesetzte des Agrarkommissars, der früher einmal Christdemokrat war, dann aber wohl aus Karrieregründen in die PIS gewechselt ist. Von der Leyen wollte verhindern, dass Wojciechowski Dinge äußern würde, die er später zurücknehmen müsste.

 

Genau das passierte dann dieser Tage. In einem Brief an den Chef des Agrarausschusses, Norbert Lins (CDU), schrieb Wojciechowski: Die Bauern gingen nicht wegen der EU-Agrarpolitik auf die Straße, sondern wegen der Freihandelsabkommen und des Green Deal. Postwendend musste er sich dafür entschuldigen und richtigstellen, dass dies nicht seine Meinung sei. Er habe vielmehr die Sorgen der Farmer wiedergegeben. Man kann sicher davon ausgehen, dass es anders war: Vielmehr hat die Kommissionspräsidentin empört, dass sich der Kommissar vom Green Deal und der Ukraine-Politik distanziert – zwei Grundkonstanten ihres Mandats.

 

Abbau von Bürokratie

 

Der Kommissar ist kaltgestellt und die Kommission sendet Signale an die unzufriedenen Bauern. Es geht um Abbau von Berichtspflichten, überflüssiger Bürokratie und um konkrete Erleichterungen bei den sogenannten Konditionalitätsanforderungen, die die Bauern erfüllen müssen, um die Direktzahlungen zu bekommen. Die Kommission verspricht etwa, dass die Besuche der nationalen Behörden auf den Höfen zur Kontrolle zahlenmäßig halbiert werden sollen. Sie stellt weitere Lockerungen bei den Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand der Flächen (GLÖZ) in Aussicht. Diese neun Standards gelten eigentlich seit 2023. Die Pflicht, einen Prozentsatz der Ackerfläche wegen des Artenschutzes brachliegen zu lassen, hatte die Kommission schon für 2023 außer Kraft gesetzt. Jetzt hat sie es gerade wieder für 2024 getan. Und sie will auch Viehhalter entlasten, die ihre Herden reduzieren und Dauergrünland in Ackerfläche umwandeln wollen. Auch bei den Regeln, um vegetationslose Böden zu bedecken und so der Erosion entgegenzuwirken, zeigt sie sich kompromissbereit. Die Kommission hat zudem eine große Online-Befragung angekündigt. Dabei soll jeder Landwirt in der EU die Chance bekommen, überflüssige Bürokratie zu benennen.

 

Die Linie der Kommission ist also: Zug um Zug werden Gesetze des Green Deal zurückgedreht oder gar nicht erst beschlossen. Und sie verspricht den Landwirten Entlastung bei der Bürokratie. Unter dem Strich muss man einräumen, dass der Green Deal für die Bauern bislang weitgehend glimpflich verläuft. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen ausreichen, um den Zorn der Landwirte zu zügeln. Längst fordern sie, dass für Importe aus Nicht-EU-Ländern die gleichen Spielregeln gelten wie in der EU. Für Tomaten aus Marokko sollen die gleichen Pflanzenschutzregeln gelten wie für Tomaten aus Spanien. Rindfleisch aus Argentinien soll unter den gleichen Regelungen zur Belüftung und Größe der Ställe produziert werden wie Rindfleisch aus Frankreich. So verständlich aus wirtschaftlicher Sicht die Forderung der europäischen Bauern ist: Das ist Sprengstoff für die Freihandelsagenda der EU und dürfte der künftigen Kommission noch heftige Kopfschmerzen bereiten. 

 


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