Zollfreiheit mit Nebenwirkungen: Geflügel zu Dumpingpreisen

Der ukrainischen Wirtschaft muss geholfen werden. Dennoch ist es keine gute Politik, wenn die EU die Zollfreiheit auch auf alle Agrarprodukte um ein Jahr verlängern will

Foto: YvonneHuijbens
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Von Ludwig Hintjens

 

Die EU-Kommission wird in den nächsten Tagen vorschlagen, dass die Ukraine weiterhin Zollfreiheit bei Exporten in die EU in Anspruch nehmen kann. Damit soll die Wirtschaft des Landes, das seit zwei Jahren von Russland mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen wird, entlastet werden. Die Zollfreiheit, die Anfang Juni auslaufen würde, soll zunächst um ein Jahr verlängert werden.

 

Die Entscheidung ist auf der einen Seite nachvollziehbar. So leistet die EU neben den Waffenlieferungen und den finanziellen Unterstützungen auch über die Zollfreiheit einen Beitrag, damit sich das vom Krieg geschundene Land gegen den Aggressor aus dem Osten wehren kann.

 

Je länger aber die Zollfreiheit gewährt wird, umso größer werden strukturelle Verwerfungen dieser Maßnahme vor allem im Bereich der landwirtschaftlichen Produkte. Die ukrainische Landwirtschaft wird auch von großen Unternehmen geprägt. Nicht wenige der Betriebe, die über unvorstellbar große Flächen verfügen, sind in der Hand von Anteilseignern und Besitzern aus dem Ausland. Gerade die großen Agrarkonzerne finden in der Ukraine gute Investitionsbedingungen vor. Die Löhne sind deutlich niedriger als in der EU. Da die Agrarflächen groß sind, ergeben sich Skaleneffekte. So hatte die ukrainische Landwirtschaft bereits vor dem russischen Angriff beträchtliche Anteile am Weltmarkt. Dies gilt vor allem für Getreide.

 

Die Gewährung der Zollfreiheit in der EU hat dazu geführt, dass die ukrainischen Getreidehändler zunehmend Mais, Sonnenblumensaaten, Gerste und Weizen in den angrenzenden fünf EU-Ländern verkauft haben: Slowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Die Bauern in den betroffenen EU-Ländern haben seitdem mit massivem Preisdruck zu kämpfen. Zollfreiheit wirkt wie eine Subvention: Es gibt eben auch unerwünschte Effekte. Hier heißt das: International aufgestellte Agrarunternehmer, die bereits in der Ukraine aktiv sind, verlagern nun gezielt Investitionen in das Kriegsland und weiten die Produktion bei weiteren Produkten aus. So etwa jetzt bei Zucker, Geflügel- und Schweinefleisch. Sie handeln betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil die Konditionen in der Ukraine nicht nur wegen der Löhne attraktiver sind.

 

Kontrollen zunehmend laxer

 

In der EU müssen die Unternehmen die hohen Umweltstandards der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) einhalten, auch beim Tierwohl gelten strengere Vorschriften. An der Grenze werden allenfalls stichprobenartig phytosanitäre Kontrollen vorgenommen. Das heißt, die Produkte werden auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln geprüft. Und auch diese Kontrollen sind, wie in Brüssel zu hören ist, zuletzt immer laxer ausgefallen. Die Behörden drücken bewusst ein Auge zu. Damit sind ukrainische Agrarunternehmen im Binnenmarkt deutlich wettbewerbsfähiger als EU-Unternehmen. Auch bei Geflügel, Schweinefleisch und Zucker ist wegen des größeren Angebotes ein Preisverfall in der EU zu beobachten.

 

Die EU-Anrainer der Ukraine hatten sich bereits gewehrt. Zunächst mit Billigung der Kommission und seit Herbst ohne Billigung haben sie Importverbote für Getreide aus der Ukraine erlassen. In Polen und Rumänien gibt es bereits Bauernproteste. Sie richten sich auch gegen die ukrainischen Importe zu Dumpingpreisen. Zunehmend gibt es auch Widerstände gegen die Zollfreiheit aus den Regierungen von weiter westlich gelegenen EU-Ländern. Etwa aus Paris. Die Kommission verspricht zwar, dass sie „Vorsichtsmaßnahmen“ zum Schutz gegen den Preisverfall ergreifen will. Doch die pauschale Zollfreiheit soll weitergelten.

 

Das wäre falsch. Die Kommission sollte stattdessen Zollkontingente für alle Agrarprodukte einführen, die anfällig sind für Marktverzerrungen. Etwa bei Geflügel sind die Margen deutlich höher als bei Getreide. Die EU kann kein Interesse daran haben, Anreize zu setzen für die Ansiedlung exportorientierter Geflügelgroßbetriebe im Nachbar- und Beitrittsland. Damit unterliefe Brüssel die eigenen Ziele in der Landwirtschaftspolitik. Niemand rechnet mit einem baldigen Ende des Krieges. Daher sind Kommission und Co-Gesetzgeber dringend gefordert, sich in der Handelspolitik mit der Ukraine von schlechten Provisorien zu verabschieden und für Regeln zu sorgen, die auch den Interessen der Bauern und Verbraucher in der EU entsprechen.  

 


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