Muskelmasse statt Speckgürtel

Das Zukunftsforum „Land.Schöpft.Wert“ stellt die richtigen Fragen, die Antworten aber muss der ländliche Raum selber geben

Foto: pasja1000
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Von Wolfgang Molitor

 

Man mag zu den Bauernprotesten stehen, wie man will, mag sie kraftmeiernd und überzogen oder überfällig und angemessen nennen, eines aber hat der spektakuläre bundesweite Trecker-Protest erreicht: den ländlichen Raum abseits von der Debatte über die Agrardieselsteuer für die ganze Bevölkerung als einen Lebensraum wahrnehmbarer zu machen, um den sich Bürger und Politik mehr kümmern müssen. Im Großen wie im Kleinen. 

 

„Land.Schöpft.Wert“ heißt das Zukunftsforum Ländliche Entwicklung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das dieser Tage zum 17. Mal stattfindet. Es ist nicht abwegig zu bilanzieren: In den zurückliegenden Jahren (unter wechselnder politischer Verantwortung) waren es in der Regel schöne Worte statt zukunftsfester Taten, die den ländlichen Raum mehr mit Sympathie ruhigstellen sollten als mit nachhaltigen Konzepten zu stärken.

 

Dabei ist dieser Raum, schon von der Wortwahl her gegenüber den auftrumpfenden Interessen von Großstädten nachgeordnet, ein wichtiger Lebensraum, wirtschaftlich und identitätsstiftend. Letzteres, auch das gehört dazu, hier und da mit wachsenden, die Demokratie gefährdenden Wahrnehmungsproblemen. 91 Prozent der Bundesrepublik sind sehr oder überwiegend ländlich geprägt. 57 Prozent der Bevölkerung leben in diesem Raum mit seinem überwiegenden Anteil von Handwerk, Industrie und Dienstleistungen. 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden im ländlichen Raum erwirtschaftet. Nein, dieser Raum ist nicht der larmoyante Speckgürtel von Großstädten, sondern die pulsierende Muskelmasse der deutschen Wirtschaft.

 

Wertschöpfung als Generalthema

 

Das Zukunftsforum wird jedes Jahr unter ein Generalthema gestellt. In diesem Jahr heißt es „Regionale Wertschöpfung in ländlichen Räumen“. Die zentrale Frage lautet: Wie kann man wirtschaftlichen Mehrwert innerhalb einer bestimmten Region schaffen? Die Antworten bleiben eher unverbindlich. Viele wirken verstaubt. Es geht unter anderem um die Erzeugung lokaler Produkte, die Förderung von lokalem Unternehmertum, die Kooperation zwischen lokalen Firmen und Institutionen sowie um die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region. Nichts Neues. 

 

Die 30 gut nachgefragten Foren zeigen: Der ländliche Raum stellt die gleichen Fragen wie viele Ballungsräume auch. Und er hat flächendeckend, weil kleinteilig organisiert, noch immer keine allgemeingültige Antwort parat. Bund und Land müssen ihrer Verantwortung im Großen gerecht werden – beim Wohnungsbau, bei Schulen und Krankenhäusern, vor allem bei einer alltagstauglichen Infrastruktur. Das fällt ihnen schon schwer genug. Die Foren-Themen zeigen aber auch den großen Anteil von Eigeninitiative, ohne die es im ländlichen Raum nicht geht. Auch deshalb, weil in vielen Rathäusern und Gemeinderäten aus parteipolitischer Sicht und falsch verstandenem Konkurrenzkampf Schwerpunkte und Prioritäten unterschiedlich (und nicht selten fahrlässig verbohrt) gesetzt werden. Vom Straßenbau bis zur Ansiedlung neuer Gewerbegebiete.

„Land.Schöpft.Wert“: Es ist gut, wenn sich der ländliche Raum seiner eigenen Wirtschaftskraft und seiner gesellschaftlich sinnstiftenden Bedeutung stärker bewusst wird. Wenn er fordert, von der großen Politik ernster als bisher genommen zu werden. Fest steht aber auch: Entschlossen gehandelt werden muss vor Ort. In Baden-Württemberg werden am 9. Juni neue Kommunalparlamente gewählt. Ob nicht nur die Parteien, sondern auch die Bürger diese Herausforderung annehmen, müssen Wahlbeteiligung und Wahlergebnisse zeigen.

 


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