Geprägt von überwiegendem Verständnis und Zustimmung

Die ersten Wahrnehmungen vom Auftakt der Bauernproteste sind anders geprägt als Erfahrungen mit Demonstrationen, mit denen Behörden und Polizei laufend zu tun haben

Bauernproteste in Münster (Foto: Thorsten Neuhaus)
Bauernproteste in Münster (Foto: Thorsten Neuhaus)

 

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Von Jost Springensguth

 

Die Reaktionen und Reflexionen auf die Bauerndemonstrationen fallen für die ersten beiden Tage im Gesamtbild mit einem überwiegend positiven Echo aus. Da gab es die Ausnahme von Schlüttsiel. Sie hat die Organisatoren bundesweit sensibilisiert. Das „No Go“ als erste klare Reaktion aus dem Bauernverband hat Wirkung gezeigt.

 

Außer den Folgen für direkt Betroffene von Verkehrsbehinderungen wurden aus den meisten Brennpunkten der Republik – abgesehen von kleinen Ausnahmen – keine Zwischenfälle wie etwa in Frisoythe mit einem von einem Pkw angefahrenen Demonstranten bekannt. Das ist bisher anders als etwa bei Straßenblockaden von Klimaklebern, wo mehrfach über aggressive Gegenattacken berichtet wurde und geringe Zustimmung offensichtlich war. In Westfalen etwa bestätigten auf ausdrückliche Nachfrage Rettungs- und Ärzteorganisationen, dass es am Montag zu keiner Beeinträchtigung bei Krankentransporten, Rettungsdienstfahrten oder der ambulanten Versorgung in der Region gekommen ist. 

 

In den Zufahrten und Zielorten von Sternfahrten und den Plätzen zentraler Kundgebungen nahmen die Menschen zu einem großen Teil wahr, worum es geht. Und da sind schon gravierende Unterschiede zu dem zu erkennen, was als Demonstrationsgeschehen in den Großstädten oder auch an symbolischen Orten von Protestaktionen zum Tagesgeschäft für die polizeilichen Einsatzkräfte im Umgang mit Protestierenden geworden ist. In einer Stadt wie Münster haben wir es inzwischen jährlich mit ca. 400 angemeldeten Demonstrationen zu tun. Die Aktionswoche der Land- und Forstwirte hat damit einen vollkommen anderen Charakter – im Ausmaß und in ihren Botschaften. Da sind jetzt schon Unterschiede zu erkennen. 

 

Mehrere Umfragen bestätigen Akzeptanz der Proteste

 

Im Auftrag des Magazins Stern hat eine Forsa-Umfrage ergeben, dass 81 Prozent der Menschen Verständnis für die in dieser Woche laufenden Proteste haben und nur 18 Prozent die Blockade von Autobahnzufahrten und Verkehrsknotenpunkten ablehnen. In den größeren Städten über 100.000 haben immerhin 73 Prozent zustimmend reagiert und in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern 88 Prozent. Das ist auch eine Form von Stadt-Land-Gefälle. Ein ähnliches Ergebnis zeigt eine INSA-Umfrage von Bild, wonach sich 69 Prozent der Befragten hinter die Bauern-Proteste gestellt haben. 22 Prozent wären danach dagegen. Damit bestätigen sich beide Umfragen gegenseitig im Trend und spiegeln durch ihre grobe Übereinstimmung wohl ein Bild der Wirklichkeit. 

 

Das im Vorfeld in Publikumsmedien verbreitete Bild vom wütenden Bauern, der mit der Mistgabel drohend seine Rechte verteidigt und mit schwergewichtigen Traktoren scheinbar alles überrollen will, bezieht sich auf etwas, was vorher vielfach auch in Vorberichten der Publikumsmedien beschworen wurde. Die Süddeutsche Zeitung meinte noch am Tag nach dem Protest-Auftakt feststellen zu können: „Dem Bauernverband ist die Sache schon entglitten, bevor sie überhaupt losgegangen ist.“ Das war das Blitzlicht auf Schüttsiel, wonach überwiegend das Gegenteil eingetreten ist. 

 

Es geht nicht nur um Agrardiesel und Kfz-Steuern

 

Die politisch unter Druck geratenen Bauern bieten einen scheinbar willkommenen Nährboden für rechte Umsturzphantasien, wie sie zweifellos existieren, aber auch gern als Kulisse auf dem Lande konstruiert werden. Wie jetzt. Der Begriff „Wut“ ist nach meinem Eindruck mehr in der Berichterstattung und in den sozialen Medien vor der Aktionswoche aufgetaucht, als er am Ende auf Schildern in den Treckerkorsos wirklich zu lesen war. Da lohnt sich schon ein Blick auf die Fotos mit den Transparenten vor den Treckern. Plastische Aussagen zu den Konsequenzen politischer Entscheidungen in der jüngsten Zeit bestimmen das Gesamtbild. Es geht eben nicht nur um Agrardiesel und Kfz-Steuern für Arbeitsgeräte, sondern um Auflagen, Belastungen durch Bürokratie und kostenträchtige Vorschriften zur Tierhaltung bis an die Grenzen der Existenzgefährdung. Und es geht auch um Eigentumseingriffe in der Forstwirtschaft. Da entsteht dann schon mal Wut, wenn man bei allen gesellschaftlichen Verpflichtungen irgendwann nicht mehr Herr seines Eigentums ist. Ein Beispiel bieten die Landwirte mit ihren Moorflächen, wo die politisch gewollte Vernässung viele Betriebe gefährdet

 

Die Begrifflichkeit wie etwa „Volkes Wut“ wird von rechten Gruppen, von völkisch-nationalistischen Bewegungen, sogenannten „Querdenkern“, den „Lebendigen Sachsen“, „Freien Schleswig-Holsteinern“, auch von Teilen der AfD bis hin zu „Reichsbürgern“ adaptiert und bei eigenen Aktionen in den Netzen und bei Auftritten als Wutbürger immer wieder transportiert. Das Gefahrenpotenzial rechter Trittbrettfahrer als untergemischte Umsturzrandalierer war im Vorfeld erkennbar. Es ist in den neuen Bundesländern bekanntlich ausgeprägter und hat sich an verschiedenen Orten bestätigt. Bestätigt ist aber auch, wie sich lokale, regionale Organisatoren und der DBV distanziert haben. Es wurden Platzverweise ausgesprochen und radikale Ausfälle in Worten und Symbole aus dem Verkehr gezogen. Mit solcher Konsequenz hätte man sich die Distanzierung von Radikalen bei vielen Aktionen und Demonstrationen in anderen Brennpunkten mit Widerstandspotenzial nur wünschen können. 

 


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