Aufmarsch mit schwerem Gerät: Große Bauern-Demos in ganz Deutschland

Die Bauern demonstrieren in der kommenden Woche in einer bislang noch nicht dagewesenen Größenordnung gegen die steuerliche Belastung der Landwirtschaft

Archivbild einer früheren Bauern-Demo in Berlin (Foto: masumol)
Archivbild einer früheren Bauern-Demo in Berlin (Foto: masumol)

 

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Von Jürgen Muhl

 

Die Bauern gehen auf die Barrikaden. Ihr Protest richtet sich an die Adresse der Bundesregierung, die eine Streichung der Agrardiesel-Regelung (440 Millionen Euro bundesweit) und das Ende der Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge (485 Millionen Euro) angekündigt hat. Beide Positionen würden zusammen mit der CO2-Emissionsabgabe für die Landwirtschaft in Deutschland einen Wettbewerbsnachteil von über einer Milliarde Euro ausmachen. „Wir sind total erbost und lassen uns dies nicht gefallen“, wettert Klaus-Peter Lucht, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes. In dieser Woche werden Zehntausende von Landwirten zu Kolonnen-Demonstrationen starten. In Schleswig-Holstein schließen sich Logistik-Verbände und die DeHoGa als Vertretung der Gastronomie an. 

 

Als Beispiel für die bundesweiten dezentralen Proteste blicken wir hier auf Schleswig-Holstein: Der Bauernverband im hohen Norden ist in die Offensive gegangen und hatte am Donnerstag die Spitzenpolitiker aller Parteien in seine Zentrale nach Rendsburg eingeladen. Gekommen sind sie alle, die führenden Vertreter von CDU, SPD, Grüne, FDP und des südschleswigschen Wählerverbandes SSW. 

 

Lucht und Generalsekretär Stephan Gersteuer machten in dem Gespräch mit der Politik auf Details des Problems aufmerksam. Der Agrardiesel sei keine Subvention im klassischen Sinn, sondern eine Art Lastenausgleich, mit dem der deutsche Steuersatz für Agrardiesel auf den Durchschnitt der EU gebracht werde. Dies sei gerechtfertigt, weil die Landwirtinnen und Landwirte kaum auf öffentlichen Straßen fahren. Ackerschlepper seien mit den steuerfreien, stationären Arbeitsmaschinen anderer Wirtschaftsbereiche zu vergleichen.

 

Einen typischen Familienbetrieb trifft es fünfstellig

 

Der Verbrauch in der Land- und Forstwirtschaft in Deutschland liegt bei zwei Milliarden Liter pro Jahr. Der Normal-Steuersatz beträgt 47,04 Cent pro Liter, die Teilerstattung 21,48 Cent pro Liter (ca. 440 Mio. Euro p.a. bundesweit). Zusätzlich gilt seit 2021 die CO2-Emissionsabgabe auf Treib- und Brennstoffe von 25 Euro/Tonne (ca. 6,7 Cent/Liter Diesel). Die Emissionsabgabe steigt auf ca. 13,4 Cent/Liter Diesel. Der durchschnittliche Dieselverbrauch liegt zwischen 110 und 120 Liter Diesel je Hektar und Jahr. Für einen typischen Vollerwerbs-Familienbetrieb geht es bei Agrardiesel und Kfz-Steuern schnell um deutlich fünfstellige Beträge pro Jahr. Europaweit gibt es eine große Spannbreite der Agrardiesel-Besteuerung: höchste Sätze in den Niederlanden mit 50,4 Cent pro Liter, niedrigste Sätze in Belgien und Luxemburg mit 0,0 Cent pro Liter.

 

Somit würde Deutschlands Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb vor erheblichen Problemen bei der Vermarktung ihrer Produkte stehen. „Das Berliner Vorhaben hat bei uns Bauern das Fass zum Überlaufen gebracht“, ließ Verbandschef Lucht die nach Rendsburg angereisten Politikerinnen und Politiker wissen. Lucht fügte hinzu: „Wir können unsere Motoren nur mit Dieselkraftstoff antreiben. Es gibt derzeit keine Alternativen.“

 

Die Politik, darunter auch schleswig-holsteinische Vertreter der Ampelparteien, zeigten Einsicht. Sie kündigten Gespräche mit Finanzminister Lindner, Wirtschaftsminister Habeck und Landwirtschaftsminister Özdemir an. In einem Schreiben von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) an den Grünen Özdemir heißt es, der Beschluss der Bundesregierung sei „ein Schlag ins Gesicht der Landwirte“ und so nicht hinnehmbar. Schließlich seien die Bauern der Motor im ländlichen Raum, so Günther. Das Fazit der Rendsburger Runde: „Noch ist nichts verloren.“

 

Rückzugs-Überlegungen in der Ampel-Spitze?

 

Derweil scheint sich in Berlin angesichts der heftigen Protestwelle etwas zu bewegen. Aus der Ampel-Spitze wurden dort Rückzugs-Überlegungen bekannt. Demnach sollen sich Kanzler, Wirtschaftsminister und Finanzminister darauf verständigt haben, die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft zurückzunehmen und die Steuerbegünstigung von Agrardiesel nicht in einem Zug, sondern schrittweise abzubauen. Für Bauernverbandspräsident Rukwied könne das nur ein erster Schritt sein, war die Reaktion gestern. Man werde an den Protesten festhalten. Damit rollen die Trecker zu Protestveranstaltungen überall in die Städte. Allem voran geht es so mit schwerem Agrargerät damit auch zur zentralen Bauern-Demo nach Berlin.

 


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