Bauern, Jäger und Waldbesitzer leiden unter Berliner Politik – 2024 beginnt mit Protestwelle

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und ins kommende Jahr

 

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Liebe Leserinnen und Leser unseres Politblogs,

 

an der Schwelle zu einem neuen Jahr heißt es, Bilanz zu ziehen, und einen Blick nach vorn zu werfen – privat, aber auch darüber hinaus. Politisch lohnt es sich in diesen Tagen besonders. Denn keine Frage, 2023 war in vielfacher Hinsicht außergewöhnlich. Da waren zum einen die großen internationalen Herausforderungen, vom Krieg in der Ukraine bis hin zum schrecklichen Töten in Nahost. Und zum anderen gab es auf nationaler Ebene – freundlich formuliert – heftige Verwerfungen und Turbulenzen innerhalb und mit der Koalition. Vor allem der ländliche Raum bekam die Auswirkungen von diversen verfehlten und verpatzten Maßnahmen der Berliner Politik schmerzhaft zu spüren. 
 

Jürgen Wermser
Jürgen Wermser

So krass wie selten zuvor wurde 2023 deutlich, dass die regierenden Ampelparteien vornehmlich städtisches Publikum bei ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Wohltaten im Blick haben. So bei der kräftigen Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs inklusive des verbilligten Deutschlandtickets, die auch alle Landbewohner per Steuerlast mitfinanzieren, ohne es jedoch auch nur annähernd in gleichem Maße wie die Bürger in Ballungsräumen nutzen zu können. Dafür ist die Anbindung an Bus und Bahn vielerorts einfach zu schlecht, wenn es sie denn überhaupt gibt.

 

In einer solchen Lage helfen keine wohlmeinenden Appelle oder Billigtickets, sondern ausschließlich pragmatische Modernisierungen von Verkehrsverbindungen inklusive Straßennetzen sowie ein prinzipiell gleichberechtigtes Nebeneinander von Straße und Schiene. Denn so wünschenswert ein perfekter ÖPNV, der das Autofahren weitgehend ersetzen würde, theoretisch auch sein mag. Mit der Realität im ländlichen Raum haben solche Vorstellungen nicht das Geringste zu tun. Denn dort ist das Kfz gerade für Familien und Berufstätige ein unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens. Eine Politik gegen das Auto ist insofern auch eine Politik gegen den ländlichen Raum

 

Sanierung wie kalte Enteignung

 

Auch das in diesem Jahr heftig umstrittene Heizungsgesetz trifft vor allem den ländlichen Raum hart. Denn von Fernwärmenetzen oder anderen großräumigen Gesamtlösungen können die Menschen in dünn besiedelten Gebieten zumeist nur träumen. Dafür sind die Entfernungen und entsprechenden Kosten viel zu hoch. Zugleich leben in unseren Dörfern und kleineren Städten viele Menschen in Eigenheimen, die sie sich über ein ganzes Berufsleben hinweg buchstäblich vom Munde abgespart haben. Diese Bürger jetzt zu nötigen, ihre Gebäude gleichsam im Hauruck-Verfahren kostspielig zu sanieren, kann im Einzelfall einer kalten Enteignung gleichkommen. Für solche Nöte und Ängste gerade sozial schwächerer Landbewohner haben viele Politiker in der Hauptstadt offenkundig keinerlei Sensorien.

 

Ähnlich abgehoben und krass ist das Verhalten der Koalition gegenüber Landwirten und weiteren Naturnutzern wie Jägern oder privaten Waldbesitzern.

 

Doch der Reihe nach. Wie heftig der Unmut gerade bei Bauern ist, konnte man kurz vor Weihnachten bei den großen Trecker-Demonstrationen überall im Land sehen und hören. Besonders eindrucksvoll war der plakative Protest im Berliner Regierungsviertel. Ab 8. Januar haben wir darüber hinaus eine weitere breit angelegte Aktionswoche der Bauern zu erwarten, die gleichzeitig von den Lkw-Fahrern unterstützt wird. Es geht unverändert um die Sparpläne zum Agrardiesel, um die Kfz-Steuer und erhöhte Belastungen auch für die Transportunternehmen. In allen Landeshauptstädten wollen die Spediteure ihre Brummis zu Protesten auffahren. Hinzu kommt der GDL-Bahnstreik, sodass der Informationsdienst agrarheute ein „Megachaos“ erwartet.

 

Dieser Dienst stellt die berechtigte Frage: „Erwächst aus dem Bauernprotest ein Generalstreik gegen die Politik der Ampel?“ Gewiss, alle Teile der Gesellschaft müssen angesichts der schwächeren Wirtschafts- und Finanzlage notgedrungen einen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten. Anders gesagt: Die Politik hat lange über ihre Verhältnisse gelebt und zum Schluss ein hochriskantes Finanzierungsmanöver gestartet, das dem Kanzler und seinem Finanzminister jetzt vom Bundesverfassungsgericht in Bausch und Bogen untersagt wurde. 

 

Die einzusparenden Summen sind nach den Ampel-Ankündigungen beträchtlich. Doch weshalb ausgerechnet die im Gesamtetat nicht entscheidend großen Beträge zur Subventionierung von Agrardiesel sowie zur Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge die Lösung bringen sollen, erschließt sich nicht. Denn gleichzeitig kommen andere und größere Gruppen ungeschoren davon. Mehr noch: Bei den betroffenen Landwirten geht es bei den geplanten Streichungen teilweise um die nackte wirtschaftliche Existenz. Zugleich erwarten Politik und Gesellschaft jedoch, dass eben diese von ihnen bedrängten Bauern schnellstens auf umweltfreundlichere und tierwohlgerechtere Produktionsweisen umstellen. 

 

Das passt alles doch einfach nicht zusammen: auf der einen Seite den Landwirten Geld bis über die Schmerzgrenze streichen und von ihnen auf der anderen Seite teure Investitionen in eine höchst riskante Zukunft fordern. Kein Wunder, dass die Wut und Empörung in den ländlichen Regionen über so viel Unverständnis, moralische Selbstgerechtigkeit, ja Arroganz wächst. 

 

Und was sagt der zuständige Landwirtschaftsminister Özdemir dazu? Er verkündet lautstark seine Solidarität mit den Bauern, doch zugleich macht er innerhalb der Koalition mehr oder minder gute Miene zum bösen Spiel. Denn eigene konstruktive Vorschläge und vor allen Dingen Lösungen, die den Bauern Perspektiven eröffnen, hat Özdemir bislang öffentlich nicht präsentiert. Seine Autorität und seine Glaubwürdigkeit haben deshalb bei Betroffenen in den letzten Tagen und Wochen einen neuen Tiefpunkt erreicht. Man kann nur hoffen, dass sich die Koalition noch eines Besseren besinnt und die geplanten Kürzungen im Agrarsektor während des parlamentarischen Verfahrens zurücknimmt. 

 

Özdemir auf Konfrontationskurs

 

Ein genauso grundlegender Korrekturbedarf besteht beim neuen Waldgesetz, das Özdemir im kommenden Jahr auf den Weg bringen will. Damit möchte er den deutschen Wald angeblich widerstandsfähiger machen gegen Veränderungen aufgrund des Klimawandels. Doch statt die Waldbesitzer bei dem längst in großem Umfang laufenden Umbau der hiesigen Wälder zu unterstützen, geht der Grünen-Politiker auf Konfrontation zu den Menschen und Betrieben, die er eigentlich als Verbündete gewinnen sollte. Der vorliegende Entwurf ist kein Angebot zu gemeinsamen Anstrengungen, sondern Ausdruck von Unkenntnis und Vorurteilen gegenüber der deutschen Land- und Forstwirtschaft. Entsprechend groß und verständlich dort ist die Empörung über die zu erwartenden Eingriffe in das Eigentumsrecht.

 

Foto: 5598375
Foto: 5598375

Der Agrarminister will künftig mit Gefängnis- statt Geldstrafen drohen, um die Waldbesitzer in seinem Sinne auf Kurs zu bringen. Max von Elverfeldt, Vorsitzender der „Familienbetriebe Land und Forst“, äußerte sich jüngst gegenüber der „Bild“-Zeitung empört über Özdemirs Pläne: „Die gegenüber dem derzeit geltenden Bundeswaldgesetz neuen Straftatbestände und Bußgeldvorschriften sind Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber uns Forstleuten vor Ort. Die Androhung von Freiheitsstrafen setzt Waldbesitzer mit Kriminellen, die Einziehung von Tatmitteln Motorsägen mit Tatwaffen gleich.“ Hinzu kommt: Die Holzproduktion soll künftig als nachrangig betrachtet werden, was der Präsident des Waldeigentümerverbands AGDW, Prof. Andreas Bitter, verständlicherweise scharf kritisiert: Dies werde der Rolle von Wald und Holz als oft einzige Erlösquelle der Forstbetriebe und als Wirtschaftsfaktor mit einer Wertschöpfung von fast 60 Milliarden Euro gerade im ländlichen Raum nicht gerecht.

 

Die Jäger standen 2023 ebenfalls heftig unter Druck von Politikern und Interessenvertretern, die sich der Devise „Wald vor Wild“ verschrieben haben. Auch dort fehlte vielfach jegliches Verständnis für traditionelle Lebensweisen, das auch unseren Wildtieren einen artgerechten Platz in der Natur zubilligt. Insbesondere geht es dabei um das Schalenwild. Das wird auch für 2024 ein Thema bleiben. Zwar sind Gespräche zwischen der Mainzer Ampelregierung und dem LJV in Rheinland-Pfalz angekündigt. Doch zu erwarten sind dabei wohl eher marginale Änderungen zum ursprünglich geplanten Gesetzestext, unter anderem mit den Punkten Jagdausübungsrecht neben den Pächtern und Aufhebung unseres bewährten Reviersystems. Viel Hoffnung hat der Landesjagdverband wohl nicht. Denn: Die nächste Großdemo ist dort in Mainz für den 24. März angekündigt. Die massiven, berechtigen Proteste gehen also weiter. 

 

Auch anderenorts wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern brauen sich auf dem Lande ähnliche politische Unwetter zusammen. Dort hat der Landesjagdverband den Jagdrechtler und Vorsitzenden der dortigen „Stiftung Wald und Wild“, Dr. Florian Asche, als kooptierten Präsidenten berufen. Er gehört übrigens auch unserem Stiftungsrat von „natur+mensch“ an. In Schwerin marschieren also ebenfalls die Jägerinnen und Jäger auf, um gegen die Regierungsplanung zur Novelle des neuen Jagdgesetzes zu protestieren, weil unter anderem in letzter Konsequenz die „Herabstufung von Schalenwildbeständen zu Schädlingen“ drohe. Der LJV erhofft sich Unterstützung aus den benachbarten Jägerschaften in Schleswig-Holstein und den ebenfalls von geplanten Jagdgesetzänderungen betroffenen Ländern Brandenburg und Niedersachsen, wenn am 10. Januar vor einer Anhörung des Agrarausschusses am selben Tag um 8 Uhr im Alten Garten Schwerin eine Protestkundgebung beginnt. Im Podcast der Zeitschrift Überläufer stimmt Asche auf das ein, worum es im Nordosten geht. Es lohnt sich, mal reinzuhören.

 

Ungeachtet dieser unerfreulichen Entwicklungen wünschen die Autoren unseres Politblogs und ich Ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr sowie persönlich und politisch alles Gute für 2024. In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen
Ihr

Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination

 

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