Olaf Scholz in seinem faktenfreien Wunderland

Der Kanzler hält eine Rede auf dem SPD-Parteitag. Probleme kommen dabei kaum vor. Im Gegenteil

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). (Foto: © Thomas Trutschel/Photothek)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). (Foto: © Thomas Trutschel/Photothek)

 

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Von Hugo Müller-Vogg

 

So sehen Sieger aus: stürmischer Applaus bei der Begrüßung, jeweils nach zwei oder drei Sätzen lebhafter Beifall, zum Schluss Standing Ovations. Was will man als Redner mehr? Der Sieg des Mannes, dem die 600 Delegierten auf dem SPD-Parteitag zujubelten, liegt mehr als zwei Jahre zurück. Zurzeit muss Olaf Scholz ständig Niederlagen einstecken.

 

Das Land steht ohne Haushalt da. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die vom ehemaligen Finanzminister ausgedachten Finanzierungstricks als verfassungswidrig eingestuft. Zudem befinden sich Kanzler und Partei im demoskopischen Tiefflug. Nur 17 Prozent bewerten laut „Politbarometer“ die Arbeit der Ampel positiv, nur noch 14 Prozent wollen die SPD wählen. So schlecht standen ein Kanzler und eine Kanzlerpartei noch nie da.

 

Ob Scholz das unter die Haut geht? Anmerken lässt er sich das nicht. Er weiß, dass er die Delegierten motivieren soll. Das angesichts von Misserfolgen und Wahlniederlagen deprimierte Funktionärscorps braucht dringend Zuspruch von oben.

 

Eigentlich hätte der Kanzler jetzt in Berlin eine Ruck-Rede halten müssen. Hätte begründen müssen, was schiefgelaufen ist und was jetzt notwendig wäre. Dass das Land eigentlich einen Neustart brauchte, der nicht ohne Zumutungen möglich sei.

 

Scholz spricht nicht zu den Bürgern

 

Doch Scholz will mit diesem Auftritt gar nicht die Bürger erreichen. Er spricht nur zu den eigenen Genossen. Erwärmt deren Herzen mit vielen historischen Reminiszenzen: Die tapferen Sozialdemokraten in der Kaiserzeit, ihre Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, die SPD als Friedenspartei, Scholz beschwört Einigkeit und Geschlossenheit.

 

Dem drängendsten Problem seiner Regierung, dem Bundeshaushalt 2024, widmet Scholz gerade mal drei Minuten seiner knapp einstündigen Rede. Konkret wird er da – wie so oft – nicht. Originalton Scholz. „Das ist eine sehr schwere Aufgabe, gerade wenn man sich mit anderen einigen muss.“ Er wolle hier „die Zuversicht vermitteln, dass uns das gelingen wird in einer Weise, die das Land weiterbringen wird.“

 

Deutlicher wird Scholz nicht. Bis auf einen Punkt: „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben.“ Das reißt die Delegierten zu Beifallsstürmen hin. Womit wir im Wunderland des Olaf Scholz angekommen sind. Erstens: Es wird schon irgendwie gut gehen. Zweitens: kein Abbau des Sozialstaats.

 

Was Scholz leider nicht verrät: Wer in den Reihen von FDP oder CDU/CSU einen solchen Abbau gefordert haben soll? Denn zwischen geringeren Zuwächsen bei den Sozialausgaben und einem Abbau besteht ein himmelweiter Unterschied. Bei seiner Seelenmassage nimmt Scholz es mit den Fakten ohnehin nicht so genau. Er erzählt lieber Märchen, was ganz gut in die vorweihnachtliche Zeit passt. Dazu einige Beispiele.

 

Beispiel Mindestlohn-Einführung

 

Scholz behauptete, die SPD habe den Mindestlohn durchgesetzt. Was so nicht stimmt. Auf die politische Tagesordnung hatte ihn vor langer Zeit die PDS (heute: Die Linke) gesetzt. Die SPD lehnte ihn damals strikt ab. Erst als die Gewerkschaften die SPD drängten, eine Lohnuntergrenze einzuführen, waren auch die Sozialdemokraten mit von der Partie. Beschlossen wurde der Mindestlohn dann von der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU).

 

Beispiel Mindestlohn-Kommission

 

Scholz machte deutlich, dass er mit der Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar 2024 um 41 Cent auf 12,41 Euro nicht zufrieden ist. Und kritisierte unter dem Beifall der Delegierten die Entscheidung der Mindestlohn-Kommission.

 

Scholz klagte: Was die Kommission „da gerade gemacht hat, war nicht in Ordnung. Sie hat mit einem Prinzip, dass solche Sachen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einvernehmlich getroffen werden, gebrochen.“ Was Scholz dabei unterschlug: Dass bei einem Patt zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Kommission die neutrale Vorsitzende den Ausschlag gab, war sehr wohl in Ordnung. Das ist alles im Mindestlohngesetz von 2014 geregelt: Ausgearbeitet von der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), beschlossen von CDU/CSU und SPD. Lässt Scholz auch hier sein Gedächtnis im Stich?

 

Beispiel Bürgergeld-Erhöhung

 

Scholz verteidigte erwartungsgemäß das Bürgergeld und die Erhöhung um zwölf Prozent zum 1. Januar 2024. Dabei nahm er es mit den Fakten nicht so genau. Es gebe jetzt eine „große Erhöhung“; die letzte Anhebung wäre nur „gering“ ausgefallen.

 

Das gefiel dem Auditorium, entsprach freilich nicht den Tatsachen. Bereits zum Jahresbeginn 2023 war diese Transferleistung um zwölf Prozent angehoben worden, insgesamt ein Anstieg um 25 Prozent. Das soll ausgerechnet der „Zahlenfuchs“ Scholz vergessen haben?

 

Beispiel Klimapolitik

 

Scholz bekräftigte, dass „der Ausbau der erneuerbaren Energien viel schneller gehen muss, auch der des Stromnetzes“. In der Tat sind die klimapolitischen Ziele sonst nicht zu erreichen.

 

Schuld an den aktuellen Schwierigkeiten sind laut Scholz – wie könnte es auch anders sein – „die Vorgängerregierungen“. Die hätten bei Schwierigkeiten „immer erschöpft aufgegeben“.

 

Das kann man so sehen. Nur scheint Scholz irgendwie vergessen zu haben, dass in 21 der letzten 25 Jahre die SPD mit am Kabinettstisch saß. Aber in seiner Wunderwelt sind halt immer die anderen die „Bösen“.

 

Fazit: Emotional stark, inhaltlich schwach

 

Ja, es war ein anderer Scholz, der da vor den eigenen Genossen sprach, nicht so hölzern und spröde wie bei seinen Auftritten im Bundestag. Vor allem war er für seine Verhältnisse emotional, streichelte die Seele der Partei.

 

Nur eines lieferte er nicht: klare Aussagen, wie es mit dieser Regierung und diesem Land weitergehen soll. Auch vermied er jede Stellungnahme zu den Beschlüssen seiner Partei, die alle Tüchtigen und Erfolgreichen mit höheren Steuern und Abgaben bestrafen will – und deren Erben auch. 

 

Ein Satz ist beispielhaft für die Rede

 

Die Scholzsche Botschaft lautete: „Wenn wir jetzt auch noch das mit dem Haushalt hinkriegen und, dass Deutschland optimistisch in die Zukunft blicken kann. (…) Wenn wir sagen können, wir sind für euch da, wir machen Politik euretwegen, wir machen Politik für Leute, die’s schwer haben und kämpfen müssen. Und wir sorgen dafür, dass es eine Zukunft gibt für unser Land und für jeden einzelnen. Dass es besser wird und gerecht. Schönen Dank.“ 

 

Dieser Satz am Ende seiner Rede, weniger konkret ist kaum möglich, ist beispielhaft für die ganze Rede: Eigentlich ist in Scholz' Märchenwelt alles wunderbar. 

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

 

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