Zwischen politischem Durchbruch und kritischen Richtersprüchen

Ob die Umweltminister bei ihrer Konferenz in Münster Wirksames beschlossen haben, wird sich erst vor Gericht entscheiden

Gruppenbild bei der Umweltministerkonferenz in Münster. (Foto: MUNV NRW)
Gruppenbild bei der Umweltministerkonferenz in Münster. (Foto: MUNV NRW)

 

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Von Michael Lehner 

 

Die deutsche Umweltministerkonferenz will den Abschuss verhaltensauffälliger Wölfe erleichtern. Die angestrebte Regelung ähnelt dem Alleingang der bayerischen Staatsregierung. Aber dieser scheitert bisher regelmäßig vor den Verwaltungsgerichten. Auch weil Bundesbehörden eine Lockerung beim strengen Artenschutz nach Europa-Recht verzögern.

 

Sogar ein Grüner ist zufrieden: Nach der Konferenz im westfälischen Münster spricht Nordrhein-Westfalens Umweltminister Oliver Krischer von einem „Durchbruch“. Mit seinen Kollegen aus den Ländern haben sie sich auf die Vorschläge von Bundesumweltministerin Steffi Lemke geeinigt. Wichtigste Neuerung: Vor dem Abschuss muss nicht mehr per DNA-Test nachgewiesen werden, dass es sich auch wirklich um jenen Wolf handelt, der zuvor vorschriftsmäßige Schutzzäune überwunden hat.

 

Es soll für die Entnahme also künftig genügen, wenn sich ein Wolf nach einem nachgewiesenen Überfall auf Weidetiere der betreffenden Nutztier-Herde erneut auf 1000 Meter oder noch kürzere Entfernung nähert. Zudem ist die Erlaubnis auf einen Zeitraum von maximal 21 Tagen nach dem ursprünglichen Schadensfall begrenzt. Damit soll – wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen – bundesweit eine Regelung gelten, die leicht abgemildert dem Alleingang ähnelt, mit dem Bayerns Staatsregierung kurz vor der dortigen Landtagswahl vorpreschte.

 

„Höchstmöglicher Artenschutz“ nach EU-Recht

 

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern glaubt nicht, dass die Probleme mit der jüngsten Einigung behoben sind: „Die Beschlüsse der Umweltministerkonferenz können nur ein erster Schritt sein. Weitere Rechtsänderungen sind notwendig. Hier sind Bund und EU gefordert.“ Der Vollzug der bayerischen Wolfsverordnung scheitert bisher durchweg vor Gericht. Vor allem, weil sich die Kläger nach wie vor darauf berufen, dass der Wolf in Deutschland den höchstmöglichen Artenschutz nach Europa-Recht genießt.

 

Glauber fordert eine Bestandsregulierung nach dem Vorbild Schwedens, wo unabhängig vom Rissgeschehen im Rahmen einer regulären Lizenzjagd jedes Jahr Wölfe geschossen werden, um die vom Reichstag beschlossene Obergrenze des Raubtierbestands zumindest annähernd einzuhalten. In der Praxis geht es dabei um eine Gesamtzahl von rund 400 Wölfen – etwa ein Drittel der in Deutschland nachgewiesenen Population. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, inzwischen auch für die Jagd in Bayern zuständig, will für diese Regulierung Regionen ausweisen, in denen die Weidetierhaltung besonders gefährdet ist.

 

In anderen Bundesländern wären die Tierhalter schon froh, wenn es praktikable Regelungen zur Entnahme nachgewiesen verhaltensauffälliger Wölfe gäbe. So berichtet der „Weserkurier“ über eine Odyssee im Landkreis Verden, wo es immer wieder zu „Nahbegegnungen“ zwischen Mensch und Wolf kommt, auch mit spielenden Kindern. Ganze acht Monate dauerte es, bis die Behörden zu dem Schluss kamen, dass eine Entnahme nicht genehmigt wird. Schließlich könnten die Fälle (nachgewiesener) Nahbegegnungen nicht einem einzelnen Tier oder einem bestimmten Rudel zugeordnet werden.

 

Nachdenkliche Töne selbst von Greenpeace

 

Während in der Pro-Wolf-Szene inzwischen auch die Deutsche Umwelthilfe lautstark mitmischt, sind vom altgedienten Umweltverband Greenpeace eher nachdenkliche Töne zu hören: „Ein hundertprozentiger Schutz ist unmöglich. Es wird immer wieder gerissene Schafe, Ziegen, seltener Kälber und Fohlen geben. In schwierigem Gelände, besonders im alpinen Raum, muss eine Rückkehr zur 24/7-Behirtung durch Menschen vor Ort, flankiert von Hunden, gefördert werden. Sonst wird die Beweidung womöglich aufgegeben und die Verbuschung beginnt.“

 

Wer die da verlangte „Rund um die Uhr“-Bewachung bezahlen soll, bleibt allerdings eine offene Frage. Die gut 18 Millionen Euro jährlich, mit denen der Bund bisher den Herdenschutz bezuschusst, dürften jedenfalls bei weitem nicht genügen. Und gegen die Angst der Menschen wird auch so schnell kein Kraut wachsen, lässt die Greenpeace-Kommentierung ahnen: „Dass Wölfe scheu sind, ist ein Mythos. Sie sind vorsichtig und konfliktscheu, aber auch neugierig. Sie werden sich Menschen immer wieder mal bis auf fünfzig oder dreißig Meter nähern.“

 

Schon vor dem westfälischen Wolfsfrieden der Umweltminister hatten wichtige Verbände der Betroffenen ihre Mitarbeit im „Bundeszentrum für Weidetiere und Wolf“ (BZWW) gekündigt: der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Jagdverband, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, der Bundesverband Rind und Schwein, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer, die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände, der Bundesverband Deutscher Ziegenzüchter und der Bundesverband landwirtschaftliche Wildhaltung.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Rainer Kirmse , Altenburg (Donnerstag, 07 Dezember 2023 13:19)

    MENSCH UND NATUR - Gedicht

    Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
    die Natur muss leiden im Wachstumswahn.
    Autos werden größer, Straßen breiter,
    dagegen schrumpft der Wald immer weiter.
    Homo sapiens braucht jetzt kluge Ideen,
    muss sich als Teil von Mutter Natur seh'n.

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh'n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

  • #2

    Hans-jürgen Thies MdB (Samstag, 09 Dezember 2023 02:43)

    Bundestag und Bundesrat werden mit den „Vorschlägen“ von BM Lemke überhaupt nicht befasst. BM Lemke hat aus Angst vor den Wolfsdebatten im Bund ausdrücklich darauf verzichtet, ihre Vorschläge im Rahmen einer Änderung des Paragraphen 45 a BNatSchG umzusetzen. Sie hat lediglich Empfehlungen an die Länder ausgesprochen, die nunmehr von der UMK aufgegriffen wurden und jetzt in den Bundesländern in ihren jeweiligen Wolfsverordnungen umgesetzt werden (sollen). Die 1.000 m Grenze gilt im übrigen nicht zur Herde, sondern zum ursprünglichen Rissstandort. Wird die attackierte Herde nach dem Rissvorfall an einen neuen Standort verbracht, dann läuft die 1.000 m Regelung ins Leere. Insgesamt reines Stückwerk, das nicht wirklich zur Problemlösung beiträgt!

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