Der Wolf und die Justiz

Wie sich Rechtslage und Rechtswirklichkeit beim Umgang mit Deutschlands Wölfen unterscheiden

Foto: raincarnation40
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Von Michael Lehner

 

Pro-Wolf-Politiker verteidigen ihre Position gerne mit dem Argument, dass die Entnahme verhaltensauffälliger Tiere längst möglich sei. Gerichtsurteile gegen behördliche Abschuss-Anordnungen belegen bis in die jüngste Zeit meist das Gegenteil. Daran dürfte sich auch nichts ändern, sollte der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden.

 

In Bayern, wo die Staatsregierung vor der Landtagswahl härtere Gangart gegen Problemwölfe beschlossen hat, klagt der „Verein zum Schutz frei lebender Wölfe“ gegen die neue Verordnung. Dabei berufen sich die Wolfsschützer auf europäisches Recht, das die Raubtiere immer noch wie eine vom Aussterben bedrohte Art schützt. Obwohl die Welt-Naturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature) den Wolf auch für Mitteleuropa längst als „nicht gefährdet“ listet.

 

Prompt stoppten Klagen die erste Entnahme nach dem bayerischen Wahlsonntag. Die Bezirksregierung von Unterfranken musste mitteilen, dass „von der Abschussgenehmigung für zwei Wölfe bis auf Weiteres kein Gebrauch gemacht werden“ dürfe. „Eine Aussage über die Rechtmäßigkeit der Genehmigung“ werde mit dem Beschluss der Würzburger Verwaltungsrichter allerdings „nicht getroffen“. Das eigentliche Verfahren steht nach der Eilentscheidung noch aus.

 

Entnahme-Stopp und damit kein Schutz der Rhönschafe

 

Betroffen ist vom aktuellen Entnahme-Stopp die Weidehaltung der Rhönschafe, die im „UNESCO-Biosphärenreservat Rhön“ besonderen Schutz als eine der ältesten Nutztierrassen Europas genießen sollten. Auch wegen ihres unverzichtbaren Beitrags zur Landschaftspflege in einem einmaligen Naturraum, in den sich Bayern, Thüringen und Hessen teilen. Nur gegen die dort streifenden Wölfe dürfen Naturfreunde das Kulturerbe Rhönschaf erst mal nicht verteidigen.

 

Auffällig ist, dass sich große Verbände wie der BUND mit Kritik an den jüngsten Behördenentscheidungen bemerkenswert zurückhalten. Vor allem der BUND hat sich in der Vergangenheit massiv für die Rhönschafe (und das Birkwild) engagiert. Auch der WWF ist erstaunlich still, nur vom NABU kommt verhalten-lokaler Widerspruch gegen die Wolfsentnahme. Das könnte daran liegen, dass der politische Rückhalt deutlich schwindet. Sogar Bayerns Grüne rückten im Landtagswahlkampf deutlich von den Forderungen kompromissloser Wolfsbefürworter ab.

 

Zugleich hat aber auch das Verwaltungsgericht im hessischen Kassel die dort verfügten Abschussgenehmigungen gestoppt. Dass die Rhön-Wölfe ordnungsgemäß aufgestellte Schutzzäune überwunden haben, sei in Hessen nur in einem einzigen Schadensfall zweifelsfrei nachgewiesen. Das genüge nicht, um eine Entnahme der streng geschützten Raubtiere zu rechtfertigen. Denn bei den übrigen Schafsrissen sei nicht auszuschließen, dass sich die Wölfe an schutzlos ausgelieferten Tieren vergriffen haben. Schäfer und Behörden wären wohl gut beraten, das wolfssichere Einpferchen des Weideviehs in jedem Einzelfall beweissicher zu dokumentieren.

 

Eine Reihe ungeklärter Fragen …

 

Da wollen wir uns nicht näher darüber auslassen, dass eine in der Szene bekannte Wolfsexpertin eben erst in einer TV-Talkshow mit der Existenz unüberwindlicher Zäune dem Umstand begründet hat, dass Wölfe oft weit mehr Nutztiere reißen als nötig wären, um ihren Hunger zu stillen. Schließlich hindere so ein Zaun die Nutztiere an der Flucht vor den Beutegreifern. Fragt sich nur, ob Richter das im Schadensfall genauso sehen. Etwa, wenn in Panik geratene Herden schwere Verkehrsunfälle verursachen.

 

Noch immer nicht endgültig geklärt ist auch die Frage, ob Jäger ihre Hunde gegen Wölfe verteidigen dürfen, die diesen gerne nach dem Leben trachten. Ein Gastjäger aus den Niederlanden, der auf einer Drückjagd im Brandenburgischen einen Wolf bei einer nachgewiesenen Attacke auf die eingesetzten Hunde streckte, wurde zwar in zwei Instanzen freigesprochen, aber der zuständige Staatsanwalt hat noch nicht aufgegeben. 

 

Wobei letzterer Vorgang an einen Fall erinnert, der in Schweden über Jahre die Massenmedien beschäftigte, nachdem ein Ankläger einen höchst erfolgreichen Unternehmer durch die Instanzen verfolgte, weil in einem abgehörten Telefongespräch vom „Grauen“ gesprochen wurde, womit der Wolf gemeint sein kann. Die Polizei rückte mit Spezialeinheiten in Kompaniestärke an, fand aber keine Beweise für einen Wolfsabschuss. Mittlerweile ist die Sache durch die Instanzen, der Staatsanwalt blamiert – und die Affäre zum „Mord ohne Leiche“ gilt als wichtige Wahlkampfhilfe zum Erfolg der rechten Schwedendemokraten.

 

In Norwegen verlor letzthin ein junger Staatsanwalt die Zuständigkeit in Wolfsangelegenheiten, nachdem öffentlich wurde, dass der Mann bei den dortigen Grünen aktiv ist. Die Justiz-Oberen halten ihn deshalb für befangen. Was nicht zum ziemlich rigorosen Umgang mit den Wölfen passen dürfte: Ihr Vorkommen ist in Norwegen auf wenige „Wolfszonen“ beschränkt, im Rest des Landes hat die Weidehaltung absoluten Vorrang. Wie in den nördlichen Landesteilen des Nachbarn Schweden, der dort das Weltkulturerbe Rentierwirtschaft vor den Raubtieren schützt.

 

Deutschland tritt in Brüssel auf die Bremse

 

Wie an dieser Stelle schon oft beschrieben, hat der schwedische Reichstag dieses Jahr den Beschluss erneuert, den Wolfsbestand auf 220 erwachsene Tiere zu begrenzen. In der Praxis werden dort 400 Tiere geduldet. Und es gehört in den Bereich der Märchenerzählung, dass den Schweden deshalb millionenschwere Strafen der EU-Gerichtsbarkeit drohen. Im Gegenteil: Die Skandinavier gehören zu den treibenden Kräften einer Parlamentsbewegung, die den bisher strengstmöglichen Schutzstatus der europäischen Wölfe reduzieren will.

 

Nachdem sich mittlerweile sogar der zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius offen für solche Lockerung zeigt und dazu aktuelle Bestandszahlen aus den Mitgliedsländern angefordert hat, gerät Deutschland in die Bremserrolle: Der Deutsche Bauernverband und der Deutsche Jagdverband werfen dem Umweltbundesamt „Verweigerungshaltung“ und „Verschleppungsstrategie“ vor, weil von dort völlig veraltete Bestandszahlen aus dem Jahr 2017 nach Brüssel gemeldet worden seien. 

 

Mit dem reduzierten Schutzstatus dürfte es also so schnell nichts werden, obwohl anerkannte Experten schon lange nicht mehr behaupten, dass Europas Wölfe vom Aussterben bedroht seien. Aber vor Gerichten (und in der interessierten Öffentlichkeit) werden sich Wolfsfreunde weiter auf den strengstmöglichen Schutz berufen. Auch wenn sich in einigen Bundesländern die Forderung durchsetzen sollte, den Wolf in Jagdrecht aufzunehmen. Wie in Niedersachsen, wo Jäger nun bei Verkehrsunfällen nicht mehr auf den Amtstierarzt warten müssen, bis sie verletzte Wölfe mit der Waffe erlösen dürfen. Ansonsten gilt die ganzjährige Schonzeit und Ausnahmen hiervon unterliegen der Gerichtsbarkeit.

 


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