Für ein „Weiter so“ hätte Boris Rhein nicht so lange gebraucht…

Den Sozialdemokraten in Hessen dürfte mit nicht einmal halb so vielen Mandaten wie die Union klar sein, wer das Kommando hat

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. (Foto: © Sinah Osner / Hessische Staatskanzlei)
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. (Foto: © Sinah Osner / Hessische Staatskanzlei)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Wenn eine Koalition in Wahlen bestätigt wird, dann sollte es nicht allzu schwerfallen, sich recht zügig auf eine weitere Zusammenarbeit zu verständigen. Die in Hessen am 8. Oktober siegreiche CDU hat indessen fünf Wochen lang sondiert, ob sie mit dem bisherigen Partner, den Grünen, die 2013 begonnene Kooperation fortsetzen oder mit der SPD ein neues landespolitisches Kapitel aufschlagen soll.

 

Es ist deshalb keine Überraschung, dass Ministerpräsident Boris Rhein letztlich der SPD den Vorzug gibt – einstimmig unterstützt vom Landesvorstand der CDU. Für ein schwarz-grünes „Weiter so“ hätte er nicht so lange gebraucht. Für den Kurswechsel gibt es gute Gründe. In der Migrationspolitik, beim Thema Innere Sicherheit, beim Flughafen oder dem Straßenbau gibt es mehr Übereinstimmungen zwischen Schwarz und Rot als zwischen CDU und Grünen. Und das, obwohl die hessischen Grünen mit Tarek Al-Wazir an der Spitze ungleich pragmatischer agieren als etwa ihre Parteifreunde im Berliner Landesverband.

 

Auch die Parteibasis im Blick

 

Der CDU-Vorsitzende Rhein hatte bei seiner Entscheidung zugunsten von Schwarz-Rot sicherlich auch die Stimmung an der Parteibasis im Blick. Dort gibt es manchen Unmut darüber, dass die geräuschlose Zusammenarbeit mit dem bisherigen Partner der Union einiges abverlangt hat, nicht nur in der Flüchtlingsfrage, sondern ebenso in der Landwirtschafts- oder Forschungspolitik. 

 

Rhein hat erst im Mai letzten Jahres die Nachfolge des langjährigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier angetreten. Er war in der Partei nicht unumstritten. Doch hat er mit einem geschickt geführten Wahlkampf die CDU um fast acht Prozentpunkte wieder auf 34,6 Prozent gebracht. Er ist jetzt die unbestrittene Nummer eins in der Hessen-Union.

 

Im Wahlkampf hatte Rhein stets die faire Zusammenarbeit mit den Grünen gelobt, eine Koalition mit der SPD indes nicht ausgeschlossen. Er hat damit nicht jene potenziellen CDU-Wähler verprellt, denen es gegen den Strich geht, dass sie bei der CDU ihr Kreuz machen, anschließend aber mit grünen Ministern und grüner Politik leben müssen.

 

Nicht für immer in Wiesbaden

 

Der Wahlsieger gehört mit seinen 51 Jahren in der CDU zu den jüngeren Führungskräften, in einer Altersklasse mit Hendrik Wüst (48/Nordrhein-Westfalen) oder Daniel Günther (50/Schleswig-Holstein). Wüst und Günther sind indes ganz auf Schwarz-Grün eingestellt. Günther hat nach der Landtagswahl 2022 sogar auf Schwarz-Grün gesetzt, obwohl eine schwarz-gelbe Koalition ebenfalls möglich gewesen wäre.

 

Dem alten und künftigen Regierungschef darf unterstellt werden, dass er nicht für alle Ewigkeit seinen Platz in Wiesbaden sieht. Mit Schwarz-Rot setzt er bundespolitisch ein Zeichen: Für die CDU sind die Grünen keineswegs der Wunschpartner. Seinem Parteivorsitzenden Friedrich Merz, der in der Öko-Partei den Hauptgegner innerhalb der Ampel sieht, dürfte das gefallen.

 

Die hessische CDU greift mit dieser Entscheidung den weit verbreiteten Unmut über die Ampel in Berlin auf. Die Grünen können sich zwar auf ihre Kernwählerschaft in den Groß- und Universitätsstädten verlassen, sind aber für weite Kreise die Hauptschuldigen an den Pleiten und Pannen in Berlin. Das bekamen die Grünen auch in ihrer hessischen Hochburg zu spüren, wo sie von 19,8 auf 14,8 Prozent dezimiert wurden. 

 

Die SPD ist am Wahltag mit 15,1 (2018: 19,8) Prozent auf ihr schlechtestes hessisches Ergebnis seit 1946 abgestürzt. Doch sind die Sozialdemokraten im einstigen „roten Hessen“ in den Städten und Kreisen noch immer stark verankert. Das wird die Zusammenarbeit mit der Landesregierung gerade bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise erleichtern.

 

Hessen als Vorreiter?

 

Die CDU hat eine Vorentscheidung getroffen; jetzt stehen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen an. Doch sind bei den Sondierungen offenbar schon einige Pflöcke eingeschlagen worden. Den Sozialdemokraten mit nicht einmal halb so vielen Mandaten wie die Union dürfte klar sein, dass Rhein jetzt mehr „CDU pur“ umsetzen will. Das hatte er schon am Wahlabend angekündigt – an die Adresse beider potenzieller Partner.

 

Die hessische SPD ist nach 25 Jahren in der Opposition personell ausgezehrt. Auch Innenministerin Nancy Faeser war als Spitzenkandidatin eher ein Problemfall und weniger ein Zugpferd. Doch weitere fünf Jahre auf den Oppositionsbänken würden für den hessischen Landesverband wohl kaum zu einem Jungbrunnen werden. 

 

Die hessische CDU hat einst unter Alfred Dregger und später mit Roland Koch sowie dessen Nachfolger Volker Bouffier innerhalb der Union stets eine besondere Rolle gespielt. Ausgerechnet die als besonders konservativ geltenden Hessen bildeten vor zehn Jahren die erste schwarz-grüne Koalition unter CDU-Führung in einem Flächenstaat. Hatten sie unter Koch den Kurs von Angela Merkel kritisch begleitet, so standen sie unter Bouffier treu an der Seite der Langzeitkanzlerin.

 

Es ist völlig offen, ob Rheins Kurs in anderen Landesverbänden zum Nachdenken darüber führt, ob es der Partei guttut, in den Grünen den bevorzugten Koalitionspartner zu sehen. Das wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Rhein den bürgerlichen Wählern mehr liefern kann als seine Ministerpräsidentenkollegen mit ihren grünen Partnern. 

 


Unser Gastautor

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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